Demokratissimo Von Mathias Bröckers

Da man zur Zeit weder durch die Straßen laufen noch durchs Fernsehprogramm zappen kann, ohne von Wahlwerbung belästigt zu werden, ist der politische Schönheitswettbewerb ein beliebtes Thema am Küchentisch.

Vor allem, wenn Besucher von den Kindern nach ihren Wahlabsichten ausgefragt werden – was dann öfter in kompromißlerischen Eiertänzen endet. Von: „Wenn Wahlen was ändern würden, wären sie sowieso schon längst verboten“ bis zu dem Zugeständnis, daß man diesmal vielleicht doch das kleinere Übel wählen und sein Kreuzchen machen würde.

Selbst notorische Nichtwähler sind mittlerweile vom Jackpot-Fieber angesteckt und stellen zur Berechnung ihres Tips weitreichende sozio-mathematische Analysen an; in Kreuzberg und Schöneberg sollen sich bereits riesige Tippgemeinschaften zusammengeschlossen haben, um Christian Ströbele ohne Wenn und Aber mit einer Superzahl direkt in den Bundestag zu wählen. „Dit wäre ja fast schon Rätedemokratie“, meinte neulich ein autonomer Jungwähler dazu.

Selbst ich, als normalerweise eher schlaffer Gelegenheitswähler, fiebere dieses Mal geradezu, mit meinem Kreuzchen für den Kiez- Abgeordneten in Bonn Bingo zu machen. Nach endloser Durststrecke wird das Superwahljahr auf der Schlußgeraden doch noch mal spannend – und geradezu perfekt wäre der Thrill, wenn der Bundeslottoleiter noch kurzfristig das „Spiel 4,99“ genehmigen würde: Hier könnten alle Unentschlossenen und Nichtwähler ankreuzen, welche Partei auf gar keinen Fall in den Bundestag einziehen sollte. Mit der Möglichkeit eines solchen Negativvotums wäre nicht nur eine Wahlbeteiligung von nahezu 100 Prozent zu erzielen, auch die Abwanderung zu dumpfen „Protestparteien“ ließe sich dadurch stoppen. Und was wäre es für viele eine Lust, hier einfach nur den Kropf am röchelnden Hals des Parteiensystems, die längst überflüssige FDP, abzuservieren. Wenn dann noch Karin Tietze-Ludwig die Hochrechnungen präsentieren könnte, ließe sich mit Hilfe der Profi-Schaumschläger von RTL der Wahlabend zu einer Infotainment-Show aufblasen, gegen deren Einschaltquoten selbst eine Fußball-WM nicht anstinken könnte. Demokratissimo statt Wahlium: Die letzten zehn und unter Umständen entscheidenden Parlamentssitze werden dann nach der großen Elefefantenrunde per TED vergeben – das ist elektronische Demokratie, direkt, volksnah, unkompliziert und mindestens ebenso so spannend wie Elfmeterschießen.

Und jetzt zu „Super-Kinkel“, unserem beliebtem Quiz: „Welche Partei benutzt 1994 den alten klassischen Adenauer-Slogan ,Keine Experimente‘ aus den 50ern?“, fragten wir letzte Woche. Die richtige Antwort lautete ... FDP! Der erste Preis, eine steuerfreie original Wahlkampfspende von Otto Graf Lambsdorff in Höhe von 50.000 Mark, geht an ...

Wie man sieht, ließe sich mit ein bißchen Demokratissimo einiges tun gegen Parteienverdrossenheit, Politikmüdigkeit und Wahlabstinenz der Massen. Doch bis wir soweit sind, ist es wohl noch eine ganze Weile hin. Solange das Ding, das im Mittelpunkt des ganzen staatsbürgerlichen Aktes steht, „Urne“ heißt, kann richtige Partystimmung eigentlich sowieso kaum aufkommen.