: Enthemmte Elche
Basketball-Bundesliga: SV Oberelchingen – SSV Ulm 99:108 nach Verlängerung ■ Aus Oberelchingen Markus Götting
Dort, wo die A8 von München in Richtung Stuttgart dreispurig wird, liegt auf der linken Seite eines jener verschlafenen Örtchen, wie es sie auf dieser Strecke zu Dutzenden gibt. Ein Hinweisschild kündet von einer sakralen Sehenswürdigkeit am Ortseingang. Hoch über dem 1.800-Seelen-Kaff thront die 860 Jahre alte Klosterkirche in heiliger Ruhe. Unten im Dorf, wo es auch einen Supermarkt gibt, leben die Menschen zwar eher weltlich, am Wochenende aber drehen sie völlig ab. Ein Lärm wie an der Startbahn West, stampfende Technobeats dröhnen durch die Brühlhalle, die Promotion-Mädels vom Sportkanal feuern ihren Werbeschund ins unschuldige Publikum; der Hallensprecher ruft in Oberfeldwebel-Diktion das verrückte Volk zur Ruhe – keine Chance, die Kids, total crazy, jazzen quer durch die Halle, wie aufgezogen. Dann der Pfiff. Zweite Halbzeit.
Bundesliga-Basketball im bayrischen Grenzland, Korbjagd in Oberelchingen. Klingt beinahe wie Vestenbergsgreuth. Parallelen gibt's: Wundersam erreichte die Mannschaft deutsches Spitzenformat, kletterte innerhalb von vier Jahren von der Oberliga in die Beletage. Bleibt aber bescheiden: Minietat von 800.000 Mark, ein ehemaliger polnischer Nationalspieler, Christof Fikiel (36), der sich am Orte als spielender Hausmeister verdingt hat, Basketball als Freizeitvergnügen der Aktiven, mit Ausnahme der drei professionellen Kombattanten: Dimitri Chakoulin aus Rußland, mit durchschnittlich 27 Punkten pro Spiel einer der treffsichersten seiner Branche, Jiri Okac aus Tschechien, mit 2,15 Metern einer der Liga-Lulatsche, und Frank Hudson aus den USA, mit 37 Jahren einer der Ältesten im Geschäft, nach einjähriger Frühpensionärszeit reaktiviert. Ein furchtloses Ensemble, das die Etablierten in dieser Saison das Fürchten lehrte, nach sechs Spieltagen gar die Tabelle der Gruppe Süd anführte.
Etabliert sind schon länger die knapp zehn Kilometer entfernten Nachbarn aus Ulm. In der vergangenen Woche noch auf europäischer Basketballbühne beschäftigt, gerieten diese beim ersten bayrisch-württembergischen Lokalderby – vergleichbar mit dem Revierkick Dortmund gegen Schalke – mächtig ins Schwitzen. Die Elche, wie sie von ihren Fans gerufen werden, trabten los, kannten kein Halten mehr und rannten gegen Ende der Partie den verwirrten Ulmern davon. Ein junger Mann, Viktor Heck sein Name, mit 1,85 Metern Körpergröße der Kleinste auf dem Feld, betrat etwa sechs Minuten vor Sirenendröhnen die Arena. Ein stilles Bübchen sonst, inspirierte ihn die enthemmte Atmosphäre: sechs Würfe, sechs Treffer. 21 Sekunden vor Schluß offenbarte er das Zeug zum Helden: zwei Freiwürfe, beide versenkt, 86:83. Die 2.000 Zuschauer tobten, Ulms Trainer Brad Dean auch.
Zweimal versuchten sich seine Zöglinge in den hektischen Momenten danach erfolglos, die rote Lederkugel sprang vom Korbring zurück. Doch die Bundesliga- Lehrlinge vergaßen offenbar, daß noch drei Sekunden zu spielen waren. Nicht aber Mike Knoerr: der Ulmer Flügelspieler kurvte hinaus über die Drei-Punkte-Linie und traf zum Ausgleich. Gnadenloser Kerl. „Ich kenne kein Mitleid“, sagte er hernach und fügte jovial an, daß die Oberelchinger durchaus gut gespielt hätten. Schwacher Trost, denn diese unterlagen nach der Verlängerung mit 99:108 und trauerten der verpaßten Chance nach.
„Wir haben so gut gekämpft, ein Sieg wäre verdient gewesen“, frustelte Christof Fikiel. Für Manager Jürgen Bartusel indes kam die Niederlage zur rechten Zeit, verhinderte überbordende Euphorie. „Es wäre ein guter Gag gewesen, wenn wir gewonnen hätten“, tiefstapelte er, immerhin sei das Saisonziel ein vierter Platz, ein Rang also, der zur Play-off-Teilnahme berechtigt.
Ein realistisches Ziel für eine Mannschaft, die gerade bemüht ist, zueinander zu finden. „Wir verstehen uns immer besser“, erkannte Hausmeister Fikiel und meinte damit wohl die spielerische Abstimmung. Die verbale Kommunikation ist nämlich durchaus kompliziert in diesem Multikulti-Trüppchen mit seinen Spielern aus allen Teilen der Welt. Auf dem Feld ersetzen die Spieler das Sprachgewirr – Trainer Robert Friedrich spricht mit den anglophonen Akteuren deutsch und mit den Deutschen englisch – durch vielsagendes Gestikulieren. Basketball, sagt Friedrich, habe eben seine eigene Sprache.
Tabelle, Gruppe Nord: 1. Berlin 12:2; 2. Leverkusen 10:0; 3. Hagen 8:4; 4. Bramsche/Osnabrück 4:8; 5. Gießen 4:10; 6. Paderborn 2:12; Gruppe Süd: 1. Bayreuth 8:2; 2. Bamberg 8:6; 3. Oberelchingen 8:6; 4. Ulm 6:6; 5. Ludwigsburg 4:10; 6.Trier 2:10
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