■ Italiens Regierung liegt im Clinch mit der Justiz
: Das Dilemma des Silvio Berlusconi

Der Frontalzusammenstoß war zu erwarten. Doch auch keine andere denkbare Regierung in Italien hätte sich dieser Auseinandersetzung entziehen können: Es geht schlicht darum, die in den letzten zwei Jahren enorm gewachsene Macht der Gerichtsbarkeit wieder auf ein demokratisch erträgliches Maß zurückzuführen.

Natürlich ist es ärgerlich, daß ausgerechnet ein Berlusconi diese Auseinandersetzung führt: ein Mann just jenes Regimes, dessen Legislative und Exekutive sich in vier Jahrzehnten ununterbrochener Intrigen- und Vetternwirtschaft über illegale Bereicherung selbst so diskreditiert hatten, daß heute nahezu alle noch lebenden ehemaligen hohen Entscheidungsträger unter Anklage stehen. Und natürlich ekelt es an, wenn man bedenkt, daß am Ende durchaus wieder eine politische Klasse als Elite dastehen könnte, die bei garantierter Straflosigkeit die alte Mißwirtschaft fortführt, da sie sich anders nicht im Sattel halten kann.

Das Problem, um das es beim Kampf zwischen den Institutionen geht, muß gelöst werden, soll es nicht zu einer „Republik der Richter“ kommen, wie das Schlagwort in Italien heißt: eine Administration, bei der Strafverfolger und -beurteiler darüber entscheiden, wer wann und wie lange noch regieren darf. Eine solche „Republik der Richter“ würde, so skurril dies auf den ersten Blick erscheinen mag, nicht in einer Fortschreibung des Rechtsstaates enden, sondern in einem autoritären Regime – entweder weil die politische Macht versucht wäre, sich die Justiz zu unterwerfen, schlichtweg um weiterarbeiten zu können, oder weil aus dem Stand der Richter und Staatsanwälte heraus Personen sich anmaßen, mit juristischen Entscheidungen die gesamte Politik zu bestimmen.

Daß Berlusconi und Konsorten die Justiz, soweit es Dinge betrifft, die die neue Herrscherkaste berühren, gerne aushebeln würden, ist ausgemacht; doch ebenso darf man unterstellen, daß nicht just die Mitglieder des Ermittlungspools „Mani pulite“ („saubere Hände“) aus Mailand, die unter Dauerbeschuß der Exekutive stehen, eine „Republik der Richter“ schaffen wollen. Man kann ihnen eine Reihe undiplomatischer öffentlicher Äußerungen zu laufenden Verfahren vorwerfen; aus ihren Reihen kommt zudem der Vorschlag, wie künftig Schmiergeldfälle behandelt werden könnten, der den aktuellen Konflikt mit ausgelöst hat. Doch sollte man nicht vergessen, daß all diese Aktivitäten der Ermittler „jenseits“ ihres verfassungsmäßigen Auftrags (der nur die Anwendung von Gesetzen, nicht deren Formulierung vorsieht) stets ausschließlich Reaktionen auf Aktionen der „anderen Seite“ waren. Tatsächlich gehört es zum „Kriegsarsenal“ der Berlusconi-Truppen, die Gegenseite mit Hilfe von Verdächtigungen und persönlichen Anwürfen zu provozieren – und ihr dann Grenzüberschreitung vorzuwerfen, wenn sie sich wehrt.

Darüber hinaus hat Berlusconi selbst „Pool“-Mitgliedern nicht nur hohe Posten in der Regierung angeboten (Chefermittler Di Pietro sollte gar Justiz- oder, wahlweise, Innenminister werden), haben Regierungsmitglieder immer wieder von den Ermittlern des Pools „Mani pulite“ verlangt, sie sollten doch sagen, wie man aus dem ganzen Schlamassel herauskommen könne, ohne bis ins Jahr 2020 Prozesse des alten Regimes vor sich her zu schieben: Just daraus ist der Vorschlag Di Pietros entstanden, alle straffrei zu lassen, die innerhalb von drei Monaten sich selbst wegen bisher noch unentdeckter Taten anzeigen und die auf diese Weise unrechtmäßig erhaltenen oder erworbenen Gelder oder Güter der Bürgergemeinschaft zurückerstatten.

Daß Berlusconi bei der Realisierung dieses Planes in die Zwickmühle geriet, war nicht zu vermeiden. Entweder muß er das bisher immer geleugnete Wissen um die – auch von ihm nicht mehr bestrittenen – Bestechungsfälle durch seine Manager doch noch einräumen, womit er künftig juristisch unangreifbar, jedoch politisch untragbar würde. Oder er bleibt beim Abstreiten; dann läuft er Gefahr, von seinen Managern und ehemaligen Mitarbeitern, die noch ein Hühnchem mit ihm zu rupfen haben, erpreßt zu werden.

Aus dem fernen Tunesien droht nun auch Ex-Ministerpräsident Bettino Craxi (einst Berlusconis politischer Mentor, mittlerweile nicht nur der unrechtmäßigen Parteispendenannahme, sondern auch der persönlichen Bereicherung in Höhe von umgerechnet mehr als 30 Millionen Mark verdächtigt): Er werde sich zu Wort melden, wenn sein Fall nicht umgegehend „gelöst“ werde. Daß ein Wort – selbst eine Lüge – von ihm genügt, Berlusconi zu Fall zu bringen, ist offensichtlich. Da der Regierungschef zum Topunternehmertum gehört und da dort Schmieren die Regel war, wird man seinen Anklägern, wie wichtig oder unwichtig sie auch seien, immer mehr glauben als ihm selbst.

Daß die Mailänder Ermittler sich in ihren öffentlichen Äußerungen bisher stets reaktiv verhalten, spricht für ihre Achtung demokratischer Prinzipien. Doch das ändert nichts daran, daß nicht nur sie persönlich, sondern die gesamte Strafjustiz eine Macht erworben hat, die sie jederzeit zu politischen Manövern befähigt. Und darin liegt die Gefahr. Das Werben um Di Pietro, sich an die Spitze einer Nach-Berlusconi-Regierung zu setzen, hat längst groteske Formen angenommen.

Macht aber verlockt und verdirbt auch leicht den Charakter. Schon berichten die Behörden von einem nie gekannten Andrang junger Juristen, die Ermittlungsrichter oder Staatsanwälte werden möchten: Noch in den 80er Jahren hatte ein berühmter Gerichtspräsident seinen Sohn ermahnt: „Lern, Bub, sonst wirst du am Ende nur Staatsanwalt.“ Wer etwas werden wollte, ging in die Politik, nicht in die Justiz. Daß Exekutive und Legislative sich nicht nur gegen einzelne Richter wehren, sondern gegen ein ganzes System, in dem nicht nur bei gesicherter Beweislage, sondern auch schon bei dünnen Verdächten Ermittlungsbescheide versandt werden, was dann Politiker diskreditiert oder gar zum Rücktritt zwingt, ist nur natürlich. Daß gerade Berlusconis Mannschaft hier jedoch den Mund halten müßte, liegt auf der Hand – Konzernmanager, Familienangehörige und Mitstreiter des Regierungschefs sind bereits beweiskräftig der aktiven Korruption überführt und zum großen Teil auch geständig.

Doch kann andererseits ein Land von einer Regierung geleitet werden, die ständig am Rande von Ermittlungsverfahren herumturnt und einen wesentlichen Teil des Arbeitstages mit der Erarbeitung, Prüfung, Verabschiedung von Gegendarstellungen, Rechtfertigungen, Klagen vor Gericht gegen einschlägige Veröffentlichungen oder dunkle Ankündigungen von Ermittlern verbringen muß? Das Problem muß gelöst werden, bevor die Justiz tatsächlich just in die Hände derer fällt, die nicht mehr, wie etwa Di Pietro, zur letzten Hoffnung des Volkes auf eine Selbstreinigung der Demokratie geworden sind, sondern lediglich ihre Karriere im Kopf haben und ihren Machthunger befriedigen wollen. Werner Raith