Drei Stunden im Archipel Kohlag

■ Der drohende Legislaturparaden-Gewinner Helmut Kohl lud zu einer Wahlkampfveranstaltung in die Deutschlandhalle und langweilte die drögen Minderleister

Kein Klischee ist plump genug, um die Bande 50jähriger Daddies und Mummies mit Designerbrillen, Gesichtspullovern und abstehenden Lauschern zu beschreiben, die sich schon zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn am 100,6-Schalter drängelten. Ungeduldig harrten die Graumelierten im Hanna-Renate-Laurien-Look vor den Schaltern, um ein Eintrittskärtchen und somit die Möglichkeit eines glubschäugigen Blickes auf ihren Kanzler zu erlangen.

Da lauerte es nun, das in Dickleibigkeit erstarrte CDU-Wählerpotential. Eine Minderleisterclique mit Wohneigentum, auf dem Weg zur psychischen Verschmelzung mit ihrem Idol. Eieiei. Gleich neben dem Presseschalter lief eine sensationsheischende Kassettenaufnahme über Ufos. Die absonderliche Geschichte einer Amerikanerin, die vorgibt, von Ufos entführt und anschließend im Raumschiff von grünen Männchen vergenußferkelt worden zu sein. Ein christdemokratisch organisierter Seitenhieb auf Bündnis 90/Die Grünen?

In der halbleeren Deutschlandhalle am Montag abend gibt eine sechsköpfige Schnarcheselcombo mit bunten Lätzchen derweil Schnulli-Musik, während im Hintergrund die zu Statisten degradierte CDU-Creme auf einem Podium rumhängt: Pieroth, Landowsky, Hassemer, Wohlrabe, Diepgen, Bergmann-Pohl und rund zwanzig andere, wie zum Beispiel Scholz, der mit seinem eigenwilligen Kopfaufbau, diesem sorgfältig am Hinterkopfe festgeklatschten Resthaarbestand, ein bißchen an die Dinofamilie bei Käpt'n Blaubär erinnert.

Erste Rufe nach dem Kanzler werden laut: „Wo bleibt der Dicke?“ kreischt irgendjemand im Publikum, während die Combo, ihre musikalische Reputation verspielend, in holprigem Englisch „Sweet Sixteen“ gibt. Dann ist es soweit: Zu den Klängen von „Ein Freund, ein guter Freund“ wälzt sich der leibhaftige Kanzler in einer Korona wild knipsender Fotografen durch die Halle. Gewiß, der Soundtrack aus „Die drei von der Tankstelle“ hätte besser zur SPD gepaßt, die tatsächlich eine Troika ins Wahlkampfrennen geschickt hat. Doch die Christdemokraten begnügen sich mit dem Oggersheimer Unikum, aus dem man glatt drei Troikas machen könnte.

„Was isser doch für ein Tier!“ denkt man unwillkürlich angesichts des schwitzenden, noch häßlicher als im Fernsehen aussehenden Eber-, sorry, Adenauerenkels. Mit seinen fast auf dem Anzugkragen hängenden Backen schaut er aus, als würde er den Staatshaushalt alleine verspachteln. Donnerwetter! Hat er deshalb vor, die Sozialhilfe zu kürzen?

Jedenfalls wälzt sich – Jurassic Park läßt grüßen – seine Gewichtigkeit, Dr. ad hoc Helmut K., auf die gequält vibrierende Bühne. Lautet nicht ein altes Oggersheimer Sprichwort: Jeder ist, was er ißt? Auf die Gefahr hin, von der Fleischerinnung wegen Verunglimpfung einer pfälzischen Wurstspezialität verklagt zu werden: Wenn dem so ist, ist Helmut K. ein pfälzischer Saumagen. Und in der Tat sieht das, was da gemessenen Schritts auf die Rednerbühne wabbelte, um calvinistische Floskeln von sich zu geben, der besagten Preßsack-Spezialität zum Verwechseln ähnlich.

Unter dem tosenden Beifall der wildgewordenen Kleinunternehmer, die ihr fleischiges Alter ego mit tosendem Applaus feiern, sagt Kohl, daß im sozialen Bereich umgeschichtet werden müsse. Es gehe doch nicht an, daß Leute Arbeitslosenhilfe bekämen, die gar nicht arbeiten gehen wollen. Der wesentliche Teil seiner unter ausgiebiger Verwendung des Oggersheimer Haupt-Personalpronomens (Isch, isch und nochmal isch) vorgetragenen und nicht enden wollenden Rede befaßte sich mit Sozialdemokraten. Der Pfälzer Historiker wird nicht müde, auf die Linken im allgemeinen und die Sozis im besonderen einzuschlagen. Dabei schreckte er natürlich wieder nicht davor zurück, den doofen Spruch Kurt Schumachers von den rotlackierten Faschisten zu zitieren. Und die mit der PDS liebäugelnden Sozialdemokraten würden das Erbe ihres großen Vorsitzenden verraten. In diesem Zusammenhang wird er leider nach zwei Stunden immer noch nicht müde, die fünf Sinne der Anwesenden mit Archipel Gulags und anderen kommunistischen Schandtaten zu foltern. Eine Stunde schleppt's sich noch so dahin, dann wirft Kohl ein letztes Mal seinen typischen Zombie-Blick ins weite Areal und robbt durch den Hinterausgang davon. Peter Lerch