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O.J. Simpson als Millionengeschäft Von Andrea Böhm

Einschaltquotentechnisch betrachtet ist der Prozeß gegen O.J. Simpson derzeit ein unsicheres Geschäft. Im Anfangsstadium des Verfahrens gibt es wenig Spannung im Gerichtssaal. Folglich übertragen nur Court-TV und CNN live, wobei letzteres seiner Reputation als Nachrichtensender gerecht werden muß und deshalb hin und wieder in den Irak oder nach Haiti schaltet.

Doch das bedeutet keineswegs, daß 0.J. Simpson nicht für andere Unternehmer ein erfolgreiches Produkt wäre. Nein, die Devotionalienhändler in South Central Los Angeles, South East Washington oder der South Side von Chicago sind gar nicht gemeint. Mit ihren T-Shirts und Baseballmützen, auf denen die Freilassung des Footballstars gefordert wird, verdienen diese Einzelhändler einen Bruchteil dessen, was die Anwälte, Rechtsberater und Privatdetektive einstreichen. Oder die Psychotherapeuten der Familie Simpson. Oder sogenannte Freunde.

Fangen wir mit dem Angeklagten an. Im Knast hat 0.J. gerade gegen fürstliches Honorar einen Vertrag zur Unterzeichnung von Autogrammkarten unterschrieben. Ein Fitness-Video, kurz vor seiner Verhaftung gedreht, ist eben auf den Markt gekommen. Kostenpunkt: 14.95 Dollar. Zielgruppe: Manager, deren Terminplan nur wenig Zeit zur Pflege ihrer Physis zuläßt. O.J.'s Freundin, Model Paula Barbieri, hat im Zuge der Simpson-Medienhysterie immerhin einen Filmvertrag und ein paar Fototermine mit dem Playboy- Magazin herausschlagen können. Susan Forward, Psychotherapeutin, deren Rat Nicole Brown Simpson kurzzeitig in Anspruch genommen hatte, scherte sich nach deren Ermordung einen Dreck um ihre Schweigepflicht, plapperte über die Verfassung ihrer Patientin in Talk-Shows und machte ungeniert Reklame für ihr Buch über mißhandelte Frauen. Jo-Ellan Dimitrius, die in Juristenkreisen als sozio- und psychologische Wunderwaffe gilt, wurde für 100.000 Dollar ins Team der Verteidiger geholt, um den Anwälten zu sagen, welche Kandidaten für die Geschworenenbank 0.J.-freundliche Vibrations ausstrahlen.

John McNally, Privatdetektiv und als solcher angeblich einer der Besten der Branche, streicht sechsstellige Summen ein, um die Verteidiger Simpsons mit rufschädigenden Details aus dem Leben des Opfers zu versorgen. R.W. Peterson, Privatschnüffler und als solcher angeblich ebenfalls einer der Besten, wurde von Nicoles Familie angeheuert, um McNallys Schnüffelarbeit zu konterkarieren. Eine gewisse Faye Resnick, selbsterklärte Freundin der Toten, bringt demnächst ein Buch über eine angebliche Liebesaffäre mit Nicole Brown Simpson und deren angeblichen Drogenkonsum auf den Markt. Wer nicht lesen kann, dem wird das Machwerk auf Kassette angeboten. Dale St. John, Besitzer jener Limousine, in der 0.J. Simpson in der Mordnacht zum Flughafen chauffiert wurde, wollte auch nicht leer ausgehen. Er versteigert den Wagen meistbietend.

Die einzigen, die am Ende dumm dastehen, könnten die 100 Millionen Amerikaner sein, die nach Vorhersage der TV-Astrologen die dramatischen Höhepunkte des Prozesses verfolgen wollen. Der Richter, dem der ganze Medienzirkus zu bunt wird, hat angedroht, die Kameras aus dem Gerichtssaal zu verbannen.

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