Dynamo im Kopf

Eishockey-Fans der Berliner Eisbären haben Probleme, ihre Identität gegen ein Image zu tauschen  ■ Aus Berlin Peter Unfried

Geld“, so spricht Helmut Berg, Präsident der Berliner Eisbären, in die frierende Runde, „ist ein scheues Reh.“ Der Immobilienmakler weiß, wovon er redet. Damit es aber auch andere endlich mitkriegen, hat er die Anhänger seines DEL-Clubs am vergangenen Sonntag nach einem ohnehin schon unerfreulichen 2:8 gegen die Wild Wings Schwenningen auch noch zum Nachsitzen bestellt. Nicht in den gemütlich-warmen VIP-Raum versteht sich, sondern auf das Gartenmobiliar draußen vor dem Hohenschönhausener Sportforum. Dort sitzen Berg und Vorstandskollegen in einer Reihe und stehen Fanvertreter und ordinäre Anhänger um das Führungspersonal herum und diskutieren aufgeregt.

„Wir stehen hundertprozentig hinter euch“, schmeichelt der Präsident und lobt seine Getreuen nach üblichem rhetorischem Vorgehen zunächst, bevor er zum Wesentlichen kommt: Dem Spiel in Hannover, als etwa fünfzig auswärtige Zuschauer auf Fahnen Hammer und Zirkel präsentiert, mit Sprechchören der DDR („Olala, wir haben heut' Geburtstag“) posthum zum 45. gratuliert hatten und es schließlich zu einem veritablen Handgemenge mit Polizei und Ordnungskräften gekommen war.

Nun hat Wessi Berg ein Problem: Einerseits, verkündet er in der hauseigenen Eisbärenpost, „müssen wird noch mehr Fans für unseren Verein gewinnen“, andererseits mag er die nicht, die er hat. Präziser gesagt: einige davon. „Wir haben“, sagt er über die in Hannover auffällig Gewordenen, „mit diesen Leuten nichts zu tun.“ Seinen Manager Lorenz („Lenz“) Funk hat er nachfragen lassen, und der Bad Tölzer hat ihm die erwartete Antwort gebracht: „Das waren keine EHC-Fans.“ Sondern? „Hertha-Fans auf dem Weg nach Wattenscheid“, mutmaßte Funk, während Berg herausgefunden haben will, daß es sich in der Hauptsache um verkleidete „frühere FC- Anhänger und Hertha-Fans“ und zugegebenermaßen „einige Eisbären-Fans“ handelte. Was gut möglich ist: Ins Sportforum kommen die zu Krawall neigenden Anhänger nicht mehr rein, also suchen sie in der Fremde ihre zweifelhaften Abenteuer.

Helmut Berg ist Geschäftsmann; was ihn interessiert: eine Ware so gut wie möglich zu verkaufen. Angefangen hat er vor zwei Jahren, just in dem Moment, als der Verein seinen realexistierenden Namen Dynamo in ein vage-neutrales Eisbären änderte. Da ist es immerhin von einer gewissen Konsequenz, sich für das, was einmal war, herzlich wenig zu interessieren. So hat er bereits im vergangenen Jahr „politische Symbole“ per Stadionordnung verbieten lassen. Doch mit dem zwar erfrischend apolitischen, doch offensichtlich auch reichlich unsensiblen Marketingslogan „Einmal ein Eisbär, immer ein Eisbär“ überzeugt er Teile jener Klientel offensichtlich nicht, für die der Club schon immer und noch vor kurzem „Einmal Dynamo“ war und die sich nun ohne allzu heftige Reflexion damit abfinden müssen, daß „immer Dynamo“ nicht ist. Was um so schwieriger sein mag, da Hohenschönhausen so tief im Osten der Stadt liegt, daß selbst Taxifahrer (aus dem Westen) die Karte herausholen müssen, wenn es zum Sportforum gehen soll. Westler verirren sich kaum dorthin. Den Jugendlichen aus dem Osten aber bleibt nichts anderes. Zudem die Bären auch überwiegend ostdeutsche Spieler beschäftigen. Die meisten davon sind von Co-Trainer Klaus Schröder, einem ehemaligen DDR-Nationalspieler, nach guter, alter Dynamo-Kaderschmiedenart herangezogen. Immerhin versucht der Verein ansatzweise, die Sehnsucht der Fans nach Identität und Kontinuität zu bedienen: Neben den republikweit üblichen Pausenfüllern (Go West etcetera) läßt man alle paar Minuten die Puhdys „Alt wie ein Baum“ trällern. Doch das war's dann auch schon. Oder nicht? „Wir sind nicht in der Lage“, hat Berg gesagt, „gesellschaftspolitisch das nachzuholen, was andere versäumt haben.“

Zwanzig Zuschauer, per Videobeweis als DDR-Fans von Hannover überführt, haben inzwischen die Bärenpolitik der „Ausgrenzung“ (Berg) erfahren und Stadionverbot erhalten. Denjenigen, die Berg für die echten Fans hält, hat der Präsident erklärt, worin der Unterschied zwischen Gestern und Heute besteht.

Einige Millionen, heißt es, habe der Geschäftsmann mittlerweile selbst in das Unternehmen gesteckt, das im Sommer erst per Klage die Einlaßberechtigung in die DEL erhalten hat. Zu den bisherigen vier Heimspielen kamen zusammen fast 14.000, was nicht wenig ist. Dennoch braucht der Club dringend weitere Geldgeber, vor allem aber einen „big spender“, vulgo: Hauptsponsor. Doch wenige wollen ihren Namen und ihr Produkt mit vom Verliererstigma behafteter Sozialismus-Nostalgie identifiziert sehen. Einst hat Berg selbst hauptgesponsert, später zahlte ein Branchenkollege, der selbiges allerdings derzeit aus seiner vom Staat zugewiesenen Unterkunft nicht mehr tun kann. Seither gilt in der Vorstandschaft bei der Suche nach dem großen Geldgeber das Prinzip „nächste Woche“. Doch immer wieder kommt etwas dazwischen, immer wieder ist es die Vergangenheit.

„Das ist ein Produkt“, hat der Präsident in die kalte Ostberliner Nacht gesprochen, „das darf kein Negativimage kriegen.“ Dann ist er in die Wärme des hell erleuchteten VIP-Raums zurückgeschlendert. Die draußen blieben, haben jetzt Zeit zum Nachdenken.