In der Fortschrittsfalle

■ Geräteentwicklung gefährdet die Einführung des digitalen Radiosystems DAB

Nach der Pleite mit dem hochauflösenden Fernsehen (HDTV) droht der europäischen Unterhaltungselektronik nun schon der nächste grandiose Flop. Das digitale Radiosystem DAB (Digital Audio Broadcasting), das nach dem Willen von Industrie und Rundfunkanstalten auf lange Sicht den heutigen UKW-Rundfunk ablösen soll, gerät ins Stolpern, und zwar über die Beine seiner Väter und Mütter.

Eigentlich soll ab 1995 in insgesamt sieben Pilotprojekten das neuartige Radio erprobt und ab 1997 dann im Regelbetrieb bundesweit ausgestrahlt werden. Und im Prinzip spricht auch viel für die neue Technologie: Radioton in CD-Qualität, digitale Zusatzdienste auf Unterfrequenzen und optimaler mobiler Empfang in nahezu jeder Empfangssituation sollen die Zuhörer überzeugen. Weniger Energiebedarf für die Ausstrahlung, bessere Nutzung der Frequenzen und neue Einnahmequellen aus Zusatzdiensten sind die Vorteile auf Senderseite.

Als gemeinsame Entwicklung im Rahmen des Eureka-Forschungsprojekt hat DAB große Chancen, sich sogar zum Weltstandard zu entwickeln. Erste Pilotausstrahlungen finden schon in Toronto statt, weitere in London und Paris stehen kurz vor dem Beginn. Indien, Australien, Indonesien haben sich für den Eureka-Standard für digitales Radio entschieden. Und selbst die Japaner erwägen ernsthaft die Übernahme des europäischen Systems.

Doch hierzulande wachsen die Zweifel, und zwar ausgerechnet bei denjenigen, die die Einführung von DAB vorantreiben sollen. Frank Müller-Römer, Technischer Direktor des Bayerischen Rundfunks und Vorsitzender des einschlägigen Lobby-Vereins Deutsche DAB-Plattform, erklärte schon auf der Leipziger Medienmesse Mitte September, daß die CD-Qualität alleine wohl kaum als Kaufargument für neue Radiogeräte ausreiche. Deshalb suche man nun angestrengt nach Anbietern für Mehrwertdienste.

Diese Mehrwertdienste, von neuartigen Verkehrsinformationen über Börsenkurse bis hin zu Informationen für sogenannte „geschlossene Benutzergruppen“ (einzeln adressierbare Zielgruppen, zum Beispiel Ärzte), lassen sich in freien Kapazitäten der Hörfunkfrequenz unterbringen und sogar verkaufen. Auf einem kleinen Bildschirm sollen diese Informationen sichtbar gemacht werden. Das ganze nennt sich dann „Datenrundfunk“.

Die Phantasie der einschlägigen Ingenieure hebt mal wieder ab. Reiner Müller, Technischer Leiter bei der Bayerischen Landesanstalt für neue Medien (BLM): „Zum Programm des Bayerischen Rundfunks kann der Hörer beispielsweise gleichzeitig die ganzen Interpreten sehen, die heute gespielt werden, vielleicht auch das Cover der CD, die eben aufliegt.“ Derzeit versucht der Verbund aus DAB- Plattform, Industrie, Telekom und Landesmedienanstalten, potentielle Radio- und Datenrundfunkanbieter für den Einstieg in DAB zu gewinnen. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) und die BLM München organisierten schon eigene Informationsveranstaltungen über die geplanten Pilotprojekte.

In Berlin konnte sich unter den Interessenten aber kaum jemand vorstellen, wo denn das Geschäft mit dem Datenrundfunk liegen soll. Angebote, die über das, was heute schon im btx-System und in den Videotext-Diensten der Fernsehveranstalter abzurufen ist, hinausgehen, hat kaum jemand auf Lager. Hinzu kommt eine fast schon abenteuerlich schräge Einführungsstrategie der DAB-Apologeten: Fast immer ist nur die Rede vom mobilen Empfang von DAB – und gemeint ist damit insbesondere das Autoradio. Am Steuer sollen die HörerInnen mit massenhaft Daten versorgt werden, die auf einem Bildschirm abzulesen sind. Immerhin, im Stau kann so etwas schon für gewisse Abwechslung sorgen. Hanebüchen sind aber die Vorschläge der Ingenieure, sich die Börsenkurse oder Computer-Shareware-Programme im Zwischenspeicher des Autoradios abzulagern, um dann zu Hause die Daten am Computer weiterzuverarbeiten.

Die Entwicklung von Heimempfangsgeräten kommt in den Strategien der DAB-Befürworter dagegen kaum vor – kein Wunder, denn hier droht schon die Konkurrenz der digitalen Flimmerkisten: Über die Frequenzketten von digitalem Fernsehen sind die gleichen Dienste übertragbar – in ungleich besserer Qualität oder höherer Quantität. Und daß CD-Qualität wohl kaum ein Verkaufsargument ist, wird dann offensichtlich, wenn man sich auf den Autoradioempfang beschränkt. Klar, daß in den Rappelkisten selbst die klarsten Tremolos nicht mehr absolut rein in die Gehörgänge deR AutofahrerIn vordringen.

Als schließlich auf der Berliner Informationsveranstaltung auch noch bekannt wurde, daß die Industrie erst für etwa 1999 damit rechnet, DAB-Empfänger unterhalb der Preisschwelle von 800 DM auf den Markt zu bringen, da war bei den meisten Anwesenden das Interesse an DAB gänzlich abhanden gekommen. Ingrid Walther, Referatsleiterin Medien beim Berliner Wirtschaftssenator, faßte die Stimmung so zusammen: „Nach der heutigen Veranstaltung bin ich skeptischer geworden, was die DAB-Entwicklung betrifft. Möglicherweise wird die Entwicklung vom digitalen Fernsehen überholt. Mich hat das bestätigt in der Strategie des Wirtschaftssenators, nicht auf Übertragungstechnologien zu setzen, sondern auf die Entwicklung von Dienstangeboten, die nicht von einem einzigen Ausbreitungsverfahren abhängig sind.“ Jürgen Bischoff