Schollenhüter, Fachwerkretter

■ 90 Jahre Verein für Niedersächsisches Volkstum / Bremer Heimatbund: Eine Feier

„Heimat ist da, wo eine Steckdose ist.“ Sagen die Jungen und ziehen weiter. Die Mittleren verdienen Geld und erziehen an Kindern rum und haben keine Zeit für Heimat. Nur natürlich die Heimatvertriebenen, die denken immerzu an die Heimat. Und die Alten. Fünfhundert Heimatvertriebene und Grauköpfe trafen sich am Montag in der Schalterhalle des Sparkasse am Brill, um ihren Dachverband zu feiern. Der „Verein für Niedersächsisches Volkstum e.V. / Bremer Heimatbund“ mit vierzig Mitgliedsvereinen ist 90 Jahre alt geworden.

Da sind die Schollenhüter, Feuchtwiesenschützer, Bürgerparkaufräumer und Volkstanzaktivisten, die Stadtteil–Geschichtswerker und Plattdeutschverfechter, die Fachwerkretter und Sangesschwestern. Die sich um alles kümmern, weil ja auch alles Heimat ist, was kaputt oder verloren gehen könnte und deshalb geschützt werden muß. Die zum Blumenthaler Bürgerverein gehören, zur Interessensgemeinschaft Bauernhaus Kirchseelte, zu den Männern vom Morgenstern oder zum Ostfreesen Vereen „Üpstalsboom“ Bremen. Die schweigende, aber organisierte Mehrheit.

Auf einmal klatschen alle. Soeben hat der Kulturstaatsrat Schwandner in seiner unvergleichlich verbindlich-fischkalten Art einen Preis verliehen. In der Schalterhalle nämlich dürfen sich Bremer Heimatvereine auf Stellwänden und in Vitrinen vorstellen (Bürgerverein Borgfeld: „Borgfeld im Würgegriff! Hände weg!!“). Die gelungenste Präsentation wird prämiert. Der Vertreter der Senatorin zeichnet den Heimatverein Scheeßel aus. Scheeßel zeigt Fotos mit nackigen Maoris aus Neuseeland, die mal als Gäste mit den Scheeßelern tanzten. Bravo!

„Scheeßel“ – ein Name, der die hiesige Heimatszene elektrisiert. In Scheeßel wurde 1904 während eines Trachtenfestes der Verein für Niedersächsisches Volkstum erfunden. Und da treten ja auch schon die wunderbaren „Beekscheepers“ auf, die Scheeßeler Trachtengruppe, die alle 16 original Scheeßeler Tänze im Repertoire hat, sogar den „Contrawindmüller“. Eine hat einen Turban mit lauter kleinen Christbaumkugeln auf dem Kopf, das ist die Hochzeitsmütze, die man sich beim Pastor um einen Thaler auslieh. Die Männer müssen in gewissen Abständen unvermutet und ekstatisch juchzen.

Der Jubilar ist als Landesverband Bremen dem Deutschen Heimatbund angeschlossen. Letzterer ist auch 90 Jahre alt und hat drei Millionen Mitglieder in 8.000 Vereinen. Der Bremer Bund zählt an die 3000 Mitglieder. Der größte Bremer Einzelverein ist der Bürgerparkverein. Darauf weist in seiner Festansprache der Bürgerschaftspräsident Klink hin. Er meint in dem Zusammenhang behaupten zu müssen: „Die Bürgerparktombola ist aus der Innenstadt nicht mehr wegzudenken.“ Sie ist womöglich schon ein Stück schützenswerter Heimat.

Senatorin Trüpel ist ja leider nicht gekommen. Das gibt Gemurre, weil zum achtzigsten Geburtstag des Bremer Heimatbundes mit Evi Lemke noch eine echte Senatorin auftrat. Allerdings erspart man sich so Mißtöne. Frau Trüpel hätte gesagt: Heimat und Volkstum gehören zu den im Nationalsozialismus besonders mißbrauchten Begriffen. Die Festredner wissen das. Deswegen singen alle Redner das Lied vom lieben großen Europa und den Regionen. Nur wer Europa sagt, darf Heimat sagen.

Die Vertriebenen lieben die alte Heimat und sagen lieber Deutschland, jetzt, wo es immer größer wird. Einiges fehlt ja noch. Außerhalb der Sparkasse erinnern Mitglieder der Landsmannschaft Ostpreußen daran am liebsten mit Tafeln, die an Häuserwände geschraubt werden. Wie Herr Ahrens, Martinistraße, der macht seit der Vereinigung mit Riesenlettern an seinem Haus auf „Ostpreußen, Pommern, Schlesien“ aufmerksam. Fahrrad Schröder hat sein „Unvergessen Westpreußen“ allerdings wegen der vielen Farbbeutel neutral verkleidet.

Die Landsmannschaft hat ebenfalls Vitrinen und Stelltafeln in der Sparkasse präsentiert. Weil sie mit der Zeit geht, hat sie bei „Pflege des ostdeutschen Brauchtums“ das letzte Wort mit „Kulturguts“ überklebt. In einer Vitrine entdeckt man ostdeutsche Trinkbecher. Und einen Vertriebenenwitz. Treffen sich zwei Bremer: „Du, die Weserbrücke ist eingeknickt.“ - „Was ist passiert?“ - „Ein Vertriebener ist mit seinem Lastenausgleich darübergegangen!“

Über sowas haben die Bremer Nichtvertiebenen damals gelacht. Und Riesenplakate aufgehängt: „Wir können niemanden mehr aufnehmen. BREMEN HAT ZUZUGSSPERRE!“ Schön, daß die Vertriebenen wenigstens im Bremer Heimatbund untergekommen sind.

Schön ist auch, daß der Verein für Niedersächsisches Volkstum seit Montag einen neuen Vorsitzenden hat. Er nennt sich „Vorsitzer“ und heißt ab sofort Wilhelm Tacke, genau, der Pressesprecher der Katholischen Kirche Bremens. Er hat sich Großes vorgenommen: Er will verstärkt die Kleinen in die Heimatbewegung locken.

Burkhard Straßmann