Sanssouci: Vorschlag
■ Bringen den Fisch zum Stinken: Prollhead! im Marquee
Was es in Hamburg nicht alles so gibt: tiefschürfenden Regierungspop und kastrierte Philosophen. Erst kürzlich lernten wir mittels toller Schlager, wie man sein Selbst aufgeben und negieren und trotzdem immer ganz laut Ich (oder Jochen) rufen kann. Hart aber herzlich, manchmal schwer, manchmal schlau, und immer vieler Reden wert, das ist sie, die Musik zur Zeit aus der Hansestadt. Auch Prollhead! kommen von dort, haben aber wenig mit dem sogenannten neuen deutschen Pop am Hut. Spackig- backigen, heftig-deftigen Hardrock entlocken Prollhead! ihren Gitarren, Malochermusik, die schwer nach Metallgemüse duftet.
Zuvorderst steht die kleine Freiheit, und die heißt Rocker sein, schließlich leben „Rocker frei und easy und außerhalb der Norm“. Das glaubt man dieser Band bis zum ersten livehaftigen Erleben, wo sie ihr Spielchen treibt mit allen Mantafahrern, Kleinstadtprolls und anderen Mitmenschen jedweder Couleur, die zum Feierabend den puren Rock als das höchste aller progressiv-rebellischen Gefühle aus ihren integrierten Einbau-Hifi- Türmen jagen. Und dann gibt es kein Erbarmen mehr, da wird der Rocker auch schon mal zum Kleinbürger, der vor allem eins nicht (mehr) mag: Punker. „Punker sein ist gut und schön, doch ehrlich Punker, wie wär's mal mit Arbeiten geh'n?“ Das ist böse und nicht lustig, und zwischen richtigem und falschem Rockertum gibt es halt noch Tausende, fett mit Bierschinken beladene Unterschiede, denn echte „Rocker hassen Nazi-Skins und das Faschopack“, die erinnern sich in Zeitmaschinen auch mal selig der Hippiezeiten: „Ja wie war das schön und easy livin', man liebte frei und locker, wie sich's halt ergab.“ Prollhead! transportieren das alles über einen (augenzwinkernden?) hanseatischen Regionalismus, der selbstgenügsam den Fisch zum Stinken bringt und wie ein schmuddeliger Reflex auf die schwergewichtige Diskursmusik jener Stadt wirkt. Trotzdem zielen diese Jungs und Mädels öfters haarscharf an den Ohren ihres Publikums vorbei: Dann nämlich, wenn man manchen Harry bierzapfenderweise und stolz das 94er T-Shirt der Band mit dem Aufdruck „Lange Haare, kurzer Verstand“ tragen sieht, und nicht mehr weiß, was Ironie nun eigentlich genau bedeutet. Gerrit Bartels
Prollhead! und Prolettes, heute, 21 Uhr, Marquee, Hauptstraße 30, Schöneberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen