■ Radio Bremen befragt das Volk zur Bundestagswahl:
: „Wahlspots sind Volksbelästigung!“

Bremen (taz) – Ein launiges Bonmot macht derzeit die Runde: Das felsdumme Steinzeitwerbefilmchen der CDU ist die einzige Chance, daß uns eine weitere Amtszeit des sitzfesten Kanzlers erspart bleibt. Emsige WahlkämpferInnen jeglicher Couleur ernten für ihre Spots im besten Falle Spott. Die Zielgruppe hingegen betrachtet gemäß einer im Auftrag des Hessischen Rundfunks erstellten Studie die filmische Umsetzung der jeweiligen Parteislogans vorwiegend als Volksbelästigung; sage und schreibe 92 Prozent der Befragten äußerten darüber hinaus, daß die Rundfunkwerbung für ihre Wahlentscheidung nicht die geringste Rolle spielt.

Radio Bremen hat aus diesen Erkenntnissen nun Konsequenzen gezogen. Wie der Sender Freies Berlin sind auch die Bremer von der gesetzlichen Auflage, Wahlwerbung kostenlos auszustrahlen, verschont geblieben. Anstelle plumper Politpropaganda zeigen die Hanseaten in der von ihnen als „wahlspotfreie Zone“ ausgewiesenen Programmlücke selbstproduzierte Kurzfilme, in denen das Volk zu Wort kommt. Prominente wie Justus Frantz, Franca Magnani oder Werder-Bremen-Spieler Marco Bode erläutern ihre Gründe, an der Wahl teilzunehmen; weniger exponierte BürgerInnen sinnieren über die Frage: „Was würden Sie tun, wenn Sie Abgeordnete/r wären?“

Im Parlament der Politlaien, so läßt sich zusammenfassend sagen, würden anstehende Probleme beherzt angegangen. Wahlrecht für Ausländer, Maßnahmen gegen die Kriegsgefahr, Stornierung des Regierungsumzugs nach Berlin sind einige der vordringlichen Themen. Ferner stehen Volksentscheide, Kürzung der Diäten sowie die Abschaffung der Bürokratie auf den Wunschzetteln der Kandidaten. Ein aufgeweckter Steppke will „neue Häuser bauen und die, die auf der Straße sitzen, Geld geben“. In der Zielsetzung scheint er sich einig mit jenem älteren Herrn, der auf einen Klassiker des Populismus zurückgreift und vor allem „die Jugend von der Straße“ holen will. Ein Sohn Sachsens verschreibt sich dem Kampf gegen die Kriminalität, die, so seine überzeugend vorgetragene Erkenntnis, „gerade in den neuen Bundesländern stark angestiegen“ sei.

In einem Altenheim steht hingegen die Popularisierung der Zehn Gebote hoch im Kurs, und eine freundliche ältere Dame äußert den frommen Wunsch, daß die Stillen im Lande häufiger zu Wort kommen mögen, derweil die Vorlauten ins Abseits verfrachtet werden sollten. Resigniert klingt der Einwand einer anderen rüstigen Rentnerin: „Wenn ich Abgeordnete wäre, hätte ich wohl kaum eine Chance, denn ein Abgeordneter ist letzten Endes nur Stimmvieh und muß so abstimmen, wie seine Fraktion das will.“ Die noch nicht wahlberechtigten Gören und Knirpse fordern sozialbewußt, gegen Arbeitslosigkeit und Rassismus tätig zu werden. Steuermilliarden sollten lieber in die Erhaltung der Regenwälder statt in Autobahnen investiert werden, wie überhaupt beim politischen Nachwuchs die Reduzierung des Individualverkehrs Konsens zu sein scheint. Nicht nur die Autos, auch die Erwachsenen sollen hinfort weniger qualmen. „Man lernt in der Schule nichts“, ereifert sich ein Pennäler, der mehr Mittel für unsere Lehranstalten bereitstellen möchte.

Sind die von den Filmemachern ausgewählten Widerreden auch nur annähernd repräsentativ, scheint alles Geunke über die Politikverdrossenheit der Deutschen obsolet. Nur bleibt zu vermuten, daß Volkes Wünsche von der Bonner Kungelkamarilla umgekehrt genauso aufgenommen werden wie deren Buhlen um des Wählers Gunst: mit 92prozentigem Desinteresse. Harald Keller