Berber ungebrochen

Nach zwei Wochen ist Matoub Lounès wieder frei  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Selbst wenn die Kraft meinen Körper verläßt, wird meine Stimme noch stark sein.“ Mit seiner 1993 gesungenen Drohung hat der kabylische „Bluesman“ Matoub Lounès recht behalten: Zwei Wochen lang war er entführt – ebenso lang war seine Heimat im Nordosten Algeriens in Aufruhr. Mit Massendemonstrationen, Streiks und Kriegsdrohungen kämpfte die Kabylei für die Freilassung ihrer populärsten Stimme. Ständig erschollen Matoubs Polit- Lieder aus den öffentlichen Lautsprechern der heimliche Hauptstadt der Kabylei, Tizi-Ouzou. Seit er am Montag zurückkehrte, herrscht Feststimmung in der Bergregion.

Die Freilassung Matoubs bezeichnete der Präsident der „Berberischen Kulturbewegung“ (MCB), Elhadi Ould Ali, als „Sieg für die Sache der Berber“. Die MCB, die Matoub zusammen mit anderen Intellektuellen 1980 gründete, tritt für die Anerkennung der Kultur und der Sprache der BerberInnen ein. Das Tamazight, Muttersprache von einem Drittel der algerischen Bevölkerung und von 20 Millionen Menschen im gesamten Maghreb, hat bis heute keinen eigenen Status. Die MCB erwartet von dem Regime in Algier ein entsprechendes Präsidialdekret – und zwar sofort. Mit dem jüngsten Vorschlag, zunächst eine nationale Berber-Kommission einzusetzen, gibt sich die Bewegung nicht zufrieden.

Der Heimgekehrte selbst verriet bislang nur wenig über seine Gefangenschaft. Er brachte zwei Briefe seiner Entführer mit. Einer fordert die Berber auf, den „heiligen Krieg“ der Islamisten zu unterstützen. Der andere – dessen Inhalt noch unter Verschluß ist – richtet sich an die MCB.

„Ich bin erschöpft, aber mir geht es gut“, erklärt Matoub, der in den vergangenen Tagen vielfach totgesagt worden war. Mal hieß es, er sei geköpft worden, dann, seine Entführer hätten dem Sänger die Zunge abgeschnitten. Matoub selbst war überrascht, daß er „nicht hingerichtet wurde“. Seine Entführer hätten ihn vor ein „islamisches Gericht“ gestellt und der Todesstrafe für würdig befunden, berichtete er algerischen JournalistInnen.

Die Geiselnahme des 38jährigen Sängers in der Nacht zum 25. September ist weiterhin mysteriös. Die algerischen Behörden veröffentlichten schon zwei Tage nach der Entführung Fotos von zwei militanten Islamisten als Verantwortliche für die Tat. In den letzten Tagen der Entführung wollen die Behörden sogar über den Aufenthaltsort der Geisel unterrichtet gewesen sein. Die MCB, aus deren radikalem Flügel die Forderung nach „totalem Krieg“ laut wurde, ließ sich von den Behörden mit der Zusage beruhigen, daß der Sänger wieder freikäme. Der kabylische Dichter und Freund Matoubs, Ferhat M'hemi, erklärte gegenüber der algerischen Tageszeitung Le Matin Ende September zuversichtlich, er wisse, daß der Sänger „gesund und sicher“ zurückkommen würde. Mehr dürfe er nicht sagen. Doch die Islamische Heilsfront (FIS) und ihr bewaffneter Arm bekannten sich erst an diesem Montag zu der Entführung. In einem der „Geleitschreiben“ bezichtigten sie ihre Geisel als „Feind Gottes“. – Die Kabylei hat in den letzten beiden Wochen, in denen es Demonstrationen mit bis zu 100.000 TeilnehmerInnen gab, gezeigt, daß die Mobilisierungskraft der MCB ungebrochen ist. Zugleich haben die Islamisten, sollten sie tatsächlich die Autoren der Entführung gewesen sein, dem Regime in Algier signalisiert, daß sie in der Kabylei über eine eigene Logistik verfügen. Damit wäre die bislang weitgehend ausgesparte Bergregion in den blutigen algerischen Konflikt hineingezogen.