„Sollen sie doch Politik lernen!“

■ Ausländische WahlkampfbeobachterInnen, Teil III: Die Ungarin Agnes Sagvari rät zu Gelassenheit im Umgang mit der PDS

Agnes Sagvari, Professorin an der Eötvös-Lorand-Universität in Budapest, gehört zu einer Gruppe von 16 internationalen WahlkampfbeobachterInnen, die auf Einladung des DAAD dieser Tage durch die Republik touren. Bis Samstag veröffentlichen wir täglich ein Kurzinterview.

taz: Wie kommt Ihnen denn die Nachfolgepartei der SED vor?

Anges Sagvari: Für mich ist die PDS keine reine Nachfolgepartei, abgesehen von der Vermögensfrage. Es gibt eine Spaltung in dieser Partei, die ich mit großer Hoffnung verfolge. Das ist nicht nur ein Generationswechsel oder eine Verwandlung der Parolen. Sie ist schon jetzt eine Ost-Interessen- Partei. Deswegen finde ich die Kandidatur Stefan Heyms auch so schlecht, denn er ist ein Symbol der Nostalgie. Eine moderne Ostpartei, die für eine entideologisierte, praktische Haltung stünde, wäre eine viel bessere Lösung. Bin ich froh, daß unsere Wendekommunisten so pragmatisch sind!

Davon ist die PDS allerdings noch weit entfernt ... Verstehen Sie die Aufregung über sie?

Ich finde das lächerlich. Es ist wichtig, daß es diese Ostpartei gibt, sie wird Lokalpartei werden; die müssen doch leben, und man muß sie leben lassen. Sollen sie doch Politik lernen! Der Osten hat mit seinen 17 Millionen die Dimension von Nordrhein-Westfalen. Warum davor Angst haben? Man muß das alles gelassener angehen.

Was sagen Sie zu den derzeitigen Zuständen?

Ich war ja schon 1990 zur Beobachtung hier und muß sagen: Ich habe eigentlich viel mehr geistigen Aufschwung erwartet. Wenn man die strukturelle Wende in Deutschland betrachtet, dann sieht man doch, daß die Parteien dem nicht gerade entsprechen. Was mir im negativen Sinne auffällt, ist die massive Amerikanisierung des Wahlkampfs, der Medien: zuviel Show, zu unpolitisch. Ganz typisch dafür ist Focus, das für Scheinintellektuelle Scheininformationen liefert.

Zur Wende 1989. Haben die Intellektuellen versagt, auch ein derzeit populärer Gemeinplatz?

Nein, nein. Ich dachte einfach nur, die Deutschen begreifen ihre neue Lage schneller. Wahrscheinlich sind sie jetzt so mit sich beschäftigt, daß es noch länger dauert. Diese schnelle Eroberung der DDR ist meinem Liebling Bundesrepublik schlecht bekommen.

Nach 1945 taten sich die Deutschen mit einer Vergangenheitsdebatte schwer. Ist die Stasi-Debatte erfolgreicher?

Noch 1964, als ich erstmals nach Deutschland kam, war nicht viel von Vergangenheitsdebatte zu spüren. Ich traf so viele alte SS- Leute, selbst den Reichsverweser Ungarns als erfolgreichen Geschäftsmann in Dortmund, ohne daß er je vor Gericht gestellt worden wäre. Jetzt wird das viel strenger und rigoroser getan als nach 1945. Die ganze Diskussion geht aber an die Substanz der Menschen. Sie mußten sehen, wie sie überlebten in der alten DDR, haben die Revolution gemacht, und dann sollen sie auch noch Selbstkritik üben. Ich finde das lächerlich! Interview: Andrea Seibel