Für Jelzin ein klarer Fall von organisierter Schlamperei

■ Rußlands Präsident zieht Konsequenzen aus dem Rubel-Sturz: Als erstes wurde der Finanzminister entlassen, eine Kommission soll weitere Verantwortliche outen

Moskau (taz) – Als Folge des Rubelsturzes vom Vortage gab Präsident Jelzin gestern in einer Krisensitzung des Sicherheitsrates die Entlassung von Finanzminister Dubinin bekannt. Der Auftritt des erbosten Präsidenten wurde vom staatlichen Fernsehen in ausführlicher Länge direkt übertragen. Gleichzeitig forderte Jelzin den Vorsitzenden des Unterhauses der Staatsduma, Iwan Rybkin, auf, das Parlament über das weitere Schicksal des Zentralbankchefs Viktor Geraschtschenko zu befragen. Es obliegt dem Parlament allein, den Leiter der Zentralbank zu ernennen oder abzuberufen.

Der Bankchef war seit seiner Amtsübernahme 1992 höchst umstritten und galt als ein Parteigänger und Erfüllungsgehilfe der konservativen Kräfte im Parlament. Nicht zuletzt war es seine massive Kreditvergabe an bankrotte Unternehmen, die den Kursverfall bedingte. Für den 21. Oktober kündigte Parlamentspräsident Rybkin bereits ein Mißtrauensvotum gegen die gesamte Regierung Viktor Tschernomyrdins an.

Das Ereignis ist den politischen Kreisen Moskaus ziemlich in die Knochen gefahren. Nicht von ungefähr versprach Jelzin der Bevölkerung, es werde alles getan, um die Folgen des Rubelverfalls zu lindern. Er schreckte nicht einmal davor zurück, Preisstabilität zu garantieren. Nur hat der Präsident auf derartige Dinge heute keinen direkten Einfluß mehr. Was er gemeint haben könnte, sind Preise für Benzin und Energieträger.

Jelzin bezeichnete den Vorfall als „Sabotage oder als Zeichen einer extrem verantwortungslosen Politik und Schlamperei bestimmter Gruppen von Leuten, die den verhängnisvollen Sturz des Rubels organisiert haben“. Der Sekretär des Sicherheitsrates, Oleg Lobow, soll jetzt eine Untersuchungskommission leiten, die innerhalb von drei Tagen die Verantwortlichen ausfindig zu machen hat. Mit in der Kommission sitzt der Vorsitzende der Föderalen Spionageabwehr, der Nachfolgeorganisation des KGB, Sergej Stepaschin.

Doch die Untersuchungskommission wird letztlich auch keine zufriedenstellenden Ergebnisse zutage fördern. Ihre Einsetzung hat wohl nur den Sinn, das Land draußen zu beruhigen und Entschiedenheit zu zeigen. Mit der Initiative einzelner kann der Rubelsturz nicht erklärt werden. Die aufwendige Kreditpolitik des Zentralbankchefs, die Senkung des Kreditzinses, die Spekulationen Tür und Tor öffneten, sind nicht erst seit gestern bekannt. Außerdem sitzen im Kabinett Leute, die sich vornehmlich als Lobbyisten verstehen. Selbst Ministerpräsident Tschernomyrdin ist nicht frei davon. Wenn die Opposition im Parlament ihre Sache ernst nimmt, müßte sie die verantwortlichen Minister am 21. Oktober entlassen und auch Zentralbankchef Geraschtschenko von seinen Aufgaben entbinden. Doch das ist eine heikle Angelegenheit. Denn einige Minister waren Wunschkandidaten der Opposition. Hier werden Gegnerschaften und „gegenseitige Verpflichtungen“ letztlich mehr zählen als politische Versäumnisse. Klaus-Helge Donath