Inzest light

■ Zum 100. Geburtstag von Hans Henny Jahnn: Peter Borchardt inszeniert „Medea“ im Ernst-Deutsch-Theater

Was macht dieses Medea-Drama so archaisch, gewaltig, so hitzig triebhaft und wild? Der Euripides-Stoff an sich ist schon heftig: Medea folgt ihrem Gatten Jason nach Griechenland und wird dort – als Fremde – von ihm betrogen. Ihre grausame Rache, der Mord an Konkurrentin, König und den eigenen Kindern, fand vielfache Interpretationen und Nachdichtungen.

Hans Henny Jahnn fügt den Themen Fremdheit und Geschlechterkampf noch homosexuellen Inzest und das Problem des Alterns hinzu: Jason, von Medea mit ewiger Jugend bedacht, verläßt den Körper der allein Alternden. Medea selbst tritt bei Jahnn als Farbige auf: Nicht nur um die Fremdheit zu verdeutlichen, den Rassismus des König Kreons, sondern auch als frühe Verbildlichung des Slogans „woman is the nigger of the world“.

Entscheidend aber ist die Jahnn-typische expressionistische Sprache, tabulos und sperrig, die jedes Gefühl unzensiert äußert, die dieses Drama einzigartig macht. Regisseur Peter Borchardt setzt dazu eine über weite Strecken statische Inszenierung. Er will auf die plastische Sprache vertrauen, entschärft damit aber (unbeabsichtigt?) das Stück, und es ist den Schauspielern zu verdanken, daß keine Langeweile aufkommt. Betont wird diese Reduzierung durch eine puristische Bühne (Brigitte Friecz): Die gleichmäßige weiße, runde, vollkommen leere Halle, die nach oben wie ein Trichter zuläuft, ist ein Ort des sprachlichen Bekennens. Doch der Raum wird zu selten ausgefüllt.

Borchardt nannte den Geschlechterkampf im Vorfeld als wichtigstes Thema des Stückes, tatsächlich sind die Szenen zwischen Medea und Jason nach der Pause am intensivsten, werden der Jahnn'schen Expressivität am ehesten gerecht: Hier findet sich die Fleischlichkeit, der körperliche Ausdruck, Wut und Schmerz. Eva-Maria Hagen spielt eine eher starke, beherrschte Medea, doch gelingen auch Wechselbäder von Freude, rasender Wut, brennendem Schmerz und stiller Verzweiflung.

Neben Beau Jason (Joachim Kretzer), mannhaft und etwas selbstsüchtig, fällt besonders Michael Lott auf: Als älterer Knabe entdeckt er hitzköpfig, ungestüm die erste Liebe. Vom Vater um die Braut betrogen, verkörpert er Ohnmacht und Schmerz, die eben doch noch jugendliche Hingabe ins eigene Schicksal, Höhepunkte der Inszenierung. Sein jüngerer Bruder wurde mit Jens Wawrczeck leider sichtbar älter besetzt. Schwer nachvollziehbar bleibt dadurch die Vereinigung der Brüder, das „Versengen“ durch „jugendliche Schönheit“. Dabei erklärt sich so Medeas Mordtat: „Meines Blutes Blume soll nicht welken“. Während der inzestuösen „Hochzeit“ will sie ihre Kinder vor dem Erwachsensein erlösen. Niels Grevsen