Datensammeln für Deppendorf

■ Infas-Wahlforschung: Prognose, Hochrechnungen und ein absehbares Wahlergebnis / ARD-Wahldaten aus Bahrenfeld Von Uli Exner

Telefon an Telefon. Laptop an Laptop. Reihenweise, 90 mal: „Doskey installiert. Starten der Netware-Shell + einloggen. Für die Wahlbefragung und Erfassung bitte –Wahl– eingeben!!!“ Daten-Eingabe-Batterie in Warteposition. Bahrenfeld, Gasstraße 18, 4. Stock. Zentrale der Infas-Wahlforschung.

Hier werden am kommenden Sonntag jene Daten erfaßt, auf die Deutschlands Politiker so sehnlich warten. Hier wird der Rohstoff für jene Schaubilder, Grafiken, Statistiken gesammelt, die ARD-Aktuell-Chef Ulrich Deppendorf seiner versammelten Fernsehgemeinde weiterreichen wird. 18 Uhr Prognose, danach in regelmäßigen Abständen Hochrechnungen. Ein spannender Wahl-Abend?

CDU/CSU: 42 Prozent, SPD: 35 Prozent, FDP: 7 Prozent, Grüne: 8 Prozent, PDS: 4 Prozent. Infas' Hamburger Chef-Wahlforscherin Ursula Feist ziert sich zunächst ein wenig, einen persönlichen Wahltip abzugeben. Orientiert sich dann recht exakt an den letzten Umfragen ihres Instituts. Verweist zur Absicherung auf einen möglichen „last-minute-swing“, auf die Möglichkeit, daß die PDS via Direktmandate „zum Königsmacher“ werden könnte. Und landet schließlich bei: „Weiter so, Deutschland.“ Ja, sagt Ursula Feist, darauf werde es wohl hinauslaufen am Sonntag.

Seit 1989 ist die zierliche Demoskopin Chef-Wahlforscherin bei Infas, leitet das Hamburger Büro des Godesberger Instituts. Analysen, Interviews, Talk-Runden, immer wirkt sie seriös, leise, unaufdringlich. „Meinungsforschung kann und soll gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen“. Nicht weniger, aber auf keinen Fall mehr. Die penetrante Selbstdarstellung einer Elisabeth Noelle-Neumann, ist Ursula Feist zuwider. So sehr, daß sie Ende September ihre Zurückhaltung eine Spiegel-Seite lang aufgab und der eitlen Allensbacher Kollegin vorwarf, sich zum „Büttel der Politik“ zu machen. Beschränkung auf die Wissenschaft, Verzicht auf politischen Ehrgeiz empfiehlt Feist der Wahlforschung. Demoskopische Askese quasi.

Ein paar Büros, kahle Wände, ein kleines Telefonstudio, in dem außerhalb der Wahl-Zeit nur eine Handvoll Interviewer Dienst tut, Umfragen im Auftrag von Gewerkschaften, Verbänden, Unternehmen erstellt. Mitte der 80er Jahre hat die Godesberger Infas-Zentrale begonnen, die Wahlforschung nach Hamburg auszulagern. Dezentrale Networks statt zentraler Riesenrechner hieß damals die Devise, die auch den neuen Standort vorgab. Infas wollte sich, berichtet Ursula Feist, die Dienste der PC-Spezis vom Chaos-Computer-Club sichern. Eine Entscheidung, die Infas allerdings nicht vor dem dunkelsten Kapitel der Institustgeschichte bewahrte.

Vor gut einem Jahr stand das Institut für angewandte Sozialwissenschaften, wie Infas mit vollem Namen heißt, vor der Pleite. Böse Schlagzeilen. Besitzerwechsel, Vergleich, Entschuldung. Das Super-Wahljahr 94 soll den einst unangefochtenen Ruf des Unternehmens wieder festigen. Mittel zum Zweck: eine exakte Prognose und Hochrechnungen, die möglichst nah am später festgestellten amtlichen Endergebnis der Bundestagswahl liegen .

In 430 repräsentativ ausgesuchten Stimmbezirken stehen am Sonntag bundesweit 1700 Infas-Mitarbeiter bereit für den sogenannten „Exit-Poll“, der Wahlnachfrage. Auf dem zweiseitigen Infas-Fragebogen sollen Wählerinnen und Wähler unmittelbar nach der Wahl noch einmal ihr Kreuzchen machen, sollen „anonym und freiwillig“ mitteilen, welcher Partei sie gerade ihre Stimme gegeben haben. Mit rund 15.000 Befragten rechnet Feist am Sonntag. Deren Daten werden lange vor der Schließung der Wahllokale telefonisch nach Bahrenfeld übermittelt, in die miteinander vernetzten 90 Laptops eingegeben, und per „wide-area-network“ ins ARD-Studio Köln übermittelt. Grafikprogramm, Count-down, Deppendorf räuspert sich und – Punkt 18 Uhr – auf dem Bildschirm erscheinen die bunten Balken: CDU/ CSU soundsoviel, SPD ..., Grüne ..., FDP ...., PDS ....