„Warum soll ich lügen?“

■ Urkundenfälschung: Ein Mann entfernte das „e“ am Ende seines Namens

Amtsrichter Hogenkamp war verzweifelt: „Ich versuche die ganze Zeit, herauszufinden, worin der Sinn liegen kann“, sagt er fast bittend zu dem Angeklagten. „Mein Referendar versteht es auch nicht. Sie, Herr Staatsanwalt?“ Der Staatsanwalt verneint leise.

Auf der Anklagebabnk saß Erwin H., 52jähriger „Hausmann“ und alleinerziehender Vater zweier halbwüchsiger Kinder. Ihm wirft die Anklage vor, auf seinen Personalausweis den letzten Buchstaben seines Namens, das „e“, an drei Stellen herausgekratzt zu haben. „Urkundenfälschung“ sagt das Strafgesetzbuch dazu.

Das habe er nicht gewußt, schwor der Angeklagte Stein und Bein, daß das „e“ fehlte. Ihm selbst sei das erst aufgefallen, als der Ladendetektiv im Baumarkt zwei Bohrer aus seiner Innentasche herausholte. Der Detektiv verlangte den Ausweis, fragte Erwin H., wie er denn heiße - und sagte dann: „Das steht aber hier ohne e.“

Die hinzugezogene Polizei hatte notiert, daß Erwin H. zur Erklärung eingestanden habe, er sei „leidenschaftlicher Heimwerker“ und das sei wohl beim Basteln im Keller passiert. Wenn der Angeklagte diese Geschichte dem Richter aufgetischt hätte - der hätte im glatt nicht geglaubt.

Vor Gericht erzählte Erwin H. eine ganz neue Geschichte: Er sei mit seinem Mofa losgefahren, habe dann gemerkt, daß er Schlüssel und Brieftasche bei der Abfahrt liegen gelassen hatte. Er fuhr zurück - und traf auf den Nachbarn W., der ihm den Schlüssel geben konnte. Die Brieftasche fand er später im Briefkasten, den Ausweis auch - aber vier Tage später. Er habe den Ausweis genommen und direkt in die Tasche gesteckt, sagte er vor Gericht. Daß da Buchstaben herausgekratzt gewesen seien, habe er nicht bemerkt. Und eine Woche später dann „durch Zufall bei dem Baumarkt“ diese Geschichte ... er sei ja ein „anständiger Bürger“, sagt Erwin H., deshalb habe er ohne Zögern und ohne schlechtes Gewissen seinen Ausweis sofort gezeigt.

Der Richter versteht immer noch nicht. Das „e“ sei so offensichtlich rausgekratzt, daß es jedem sofort auffallen würde: Warum sollte Erwin H. das gemacht haben? „Das gibt keinen Sinn“, sagt der Richter. „Warum soll ich lügen?“ pflichtet Erwin H. ihm bei.

„Haben Sie Probleme mit Ihrem Namen?“, versucht der Richter einen anderen Pfad. Der Angeklagte, der schon von seinem Boot, seiner geschiedenen Frau und seinem Mofa alles Wissenswerte erzählt hat, kommt auch hier ins Plaudern: „Nein“, berichtet er, aber seine Mutter, die - 82jährig - noch lebt, habe ihm gesagt, daß der Standesbeamte bei der Anmeldung 1942 den vorgeschlagenen Namen nicht akzeptieren wollte, weil der nicht deutsch genug gewesen sei. „Erwin“ habe der Beamte akzeptiert. Er, Erwin, sei dennoch ganz zufrieden mit seinem Namen. Nein, findet der Richter entnervt, nicht der Vorname - Probleme mit dem Nachnamen!? Erwin H. verneint.

Als Zeuge wird noch der Nachbar vernommen, der den Schlüssel gefunden hat. Über die Brieftasche und den Ausweis weiß der Zeuge nur, was Erwin H. ihm gesagt habe.

Amtsrichter Hogenkamp ist am Ende. „Ich wäre bereit, das Verfahren nach 153 einzustellen“, sagt er, Kosten des Verfahrens gehen zu Lasten der Staatskasse. „Das ist weniger als ein Freispruch, ansonsten so ähnlich“, erklärt der dem Erwin H. „Ich danke Ihnen“, erwidert Erwin H. trocken. „Nichts zu danken“, meint der Richter ein klein wenig unwirsch.

Vor dem Gerichtsgebäude stehen zwei fast identische Mofas am Straßenrand. K.W.