Moralisches Ereignis

■ Deutsche Erstaufführung des letzten Werner-Schwab-Stückes „Pornogeographie“ im Theater im Zimmer

In einem blitzschnellen Reflex auf das Auftauchen Werner Schwabs in der Theaterwelt wurde schon 1991 geunkt, man bräuchte nur einen Schwab zu sehen, dann kenne man sie alle. Auch wenn man diese gebildete Abwehrreaktion gegen etwas höchst Unangenehmes, nämlich Schwabs nacktes Wühlen im geistigen Kot der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft, nicht folgen wollte, so muß man doch ehrlicherweise feststellen, daß der mehrfache Genuß seiner Dramen zu deutlichen Ermüdungserscheinungen führt. Von seinem ersten Stück Die Präsidentinnen (in Hamburg von der Gruppe babylon inszeniert) bis zu seinem letzten Pornogeographie, das am Donnerstag im Theater im Zimmer seine deutsche Erstaufführung erlebte, hat Schwab seinen Stil und sein Kunstdeutsch stabilisiert. Zu mehr reichte es scheinbar nicht.

Doch ein anderes Problem ist bei dem hier behandelten Stück wichtiger. Denn wie es sich schon bei seiner mißglückten Faust-Adaption abzeichnete, hatte Schwab Schwierigkeiten thematisch zu arbeiten. Sein Talent bestand darin, Alltagsfiguren kraß zu karikieren und aufeinander loszuhetzen. In der Maßlosigkeit und Enthemmung, mit der er den schamlosen Krieg von Seelenkrüppeln in gewöhnlichen Situationen entwarf, lag Schwabs Stärke.

Das Thema „Pornographie“ liegt dann viel zu nahe, um eigenständig ausgebreitet lohnend zu sein. Und prompt verzettelt sich der Grazer in abgebrochenen Gedankenkonstrukten über Gewalt, Chauvinismus und „kranke Phantasien“, die in seiner verstiegenen Sprache jede Direktheit verlieren. Doch was wirklich unappetitlich an diesem Abschiedsstück des letzten Sylvester verstorbenen Kultautors wirkt, ist nicht das absichtlich Obszöne der Worte und Taten sondern der plötzliche moralische Unterton.

Pornographie als Geißel geistiger Gesundheit ist als These des zivilisatorischen Grundübels auch weidlich zelebriert weder originell noch erschöpfend. Daß dann aber eine kühl philosophierende Pornodarstellerin als Moralapostelin die verwirrten Gemüter der Hausbewohner und der Mit-Pornoproduzenten soweit weiter mit „Wahrheiten“ über ihre geheimen Perversionen verwirrt, bis diese sie als personifiziertes schlechtes Gewissen ermorden müssen, um durch dieses Opfer ihre Triebe zu entfesseln, ist ein recht plattes Konstrukt psychologischer Schulweisheiten. Statt der Darstellung einer geistigen Struktur verfällt Schwab hier in die Formulierung eines moralischen Ereignisses.

Wolfgang Krassnitzers Inszenierung macht sich diese lehrstückhafte Zielfixierung zu eigen, und durch das kollektive Erkennen der „bösen Pornographie“ mildert er die angebliche Schockwirkung des Stückes auch soweit ab, daß auch das Stammpublikum des kleinen Theaters nicht zu Hause bleiben muß. Durch sehr unterschiedliche schauspielerische Leistungen (Klasse: Roland Kenda als Porno-Regisseur und Monika Barth als Hausbesitzerin) schlingert das Stück auf und nieder, aber für Schwab-Unkundige ist Neugier dienlich und wird belohnt mit grellen Szenen und kruden Scherzen. Till Briegleb