: Modulantinnen im Häßlichbau
■ Keine Techno-Mutationen, sondern eine neuartige EDV-Schulung
Nein, nein. Mit Science fiction hat das nichts zu tun. Obwohl es ein wenig so klingt. Zu gänzlich verschiedenen Tageszeiten verschwinden in einem mehrstöckigen Häßlichbau direkt neben dem Rothenburgsorter S-Bahnhof „freizahlende Modulantinnen“ hinter einer Stahltür. Jawohl, „freizahlende Modulantinnen“! Und, es ist in dieser hetero-dominierten Welt kaum zu verhindern, manchmal zwängt sich auch ein „freizahlender Modulant“ durch besagte Tür.
Was mögen das für Menschen sein? Techno-Mutationen? Wenn ja, man sieht es ihnen nicht an. Nehmen wir Frau Hanna Schulze (Name von der Redaktion geändert). Frau Schulze ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Töchter soweit großgezogen, daß sie aus dem Gröbsten raus sind. Frau Schulze möchte in ihren alten Beruf als Sachbearbeiterin zurücckehren, und sie hat sogar schon einen Arbeitsvertrag bei einem Import-Export-Unternehmen der Futtermittelbranche unterschrieben.
Sie soll künftig die Lagerbuchhaltung verwalten und den Standard-Schriftverkehr mit den Kunden abwickeln. Ähnliches tat sie auch in den Jahren vor ihrem ausschließlichen Hausfrauendasein: Mit Karteikarten und elektrischer Schreibmaschine. An ihrem neuen Arbeitsplatz soll sie bald am vernetzten Personalcomputer (PC) arbeiten. Ihre PC-Kenntnisse sind beschränkt. Hanna Schulze hat nur einige Privatbriefe mit dem längst veralteten System „MS Word 4.0“ geschrieben. An ihrer neuen Arbeitsstelle wird jedoch mit „MS-Word für Windows 6.0“ gearbeitet. Und dafür macht sie sich jetzt als „Modulantin“ fit.
Die Weiterbildungsfirma „INWITRA“ (Institut für Wissenstransfer der EDV, Billhorner Deich 94-96, 20529 Hamburg, Tel. 7804530) bietet seit einigen Wochen EDV-Schulung im Modulsystem an, das sich ganz erheblich von den üblichen EDV-Lehrgängen unterscheidet – permanente Dozentenbetreuung ist gewährleistet, es wird den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend geschult. Die Teilnehmerin hängt nie – wie etwa im frontalen Gruppenunterricht – verzweifelt hinterher oder gelangweilt rum, weil sie auf leistungsschwächere Mitschüler Rücksicht nehmen muß. Es ist sozusagen Privatunterricht für alle.
Frau Schulze zum Beispiel kann sich derzeit wegen anderer Verpflichtungen nur montags- und donnerstagsvormittags und jeden zweiten Dienstag am Nachmittag weiterbilden. Sie hat zwei 12-Stunden-Module gebucht, „INWITRA“ hat ihr auf dieser Grundlage ein persönliches Weiterbildungsmodell konstruiert. Innerhalb von drei Wochen erreicht sie ihr individuelles Lernziel: ausreichende Nutzerkenntnisse in einem speziellen EDV-System.
Ach, und wie so eine „freizahlende Modulantin“ nun leibhaftig aussieht? Dunkelblond und irgendwie ganz zufrieden.
Jürgen Oetting
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