■ Kommentar
: Titanic ohne Panik

In wenigen Jahrzehnten wird die Erde unumkehrbar zerstört, für künftige Generationen unbewohnbar sein. Apokalyptischer Alptraum? Nein, nüchterne wissenschaftliche Analyse: Wenn auch nur einige der derzeit weltweit beobachtbaren Trends (CO2-Ausstoß, Energieverbrauch, Massentierhaltung, Bevölkerungsentwicklung, Ozonloch) nicht grundlegend und schnell gebrochen werden, dann ist es plötzlich zu spät.

Neben dem scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der ökologischen Krise erleben wir einen allmählichen Prozeß des Zerfalls der Gesellschaft, gekennzeichnet durch Wert- und Identitätsverlust und eine neue Form hoffnungs- und perspektivloser Armut – begleitet von wachsender Gewaltbereitschaft und einer immer frecheren individuellen Raffgier im oberen Drittel der Gesellschaft.

Wir leben in einer radikalen Umbruchsphase, global und wie lokal. Morgen wählt Hamburg seine politische Vertretung zum obersten Organ eines der mächtigsten und reichsten Länder der Welt. Die Chance, die Zukunft von Hamburg, Deutschland, Europa und der Erde noch konstruktiv zu wenden, besteht vielleicht maximal noch 20 Jahre. Manche Wissenschaftler meinen gar, der radikale Trendumschwung müsse bis kurz nach der Jahrtausendwende vollbracht sein, sonst sei es zu spät.

Der Bundestagswahlkampf in Hamburg und anderswo nahm von diesen Herausforderungen keine Kenntnis. Wie in den Tanz- und Spielsalons der Titanic regierten stattdessen Gesellschaftsklatsch und persönliche Eitelkeiten. Selbst die Grünen, welche die soziale Auflösung und die ökologische Krise immerhin mal ansprechen, erweckten nie den Eindruck, sie würden die schleichende Katastrophe stoppen können oder wollen.

Wenn morgen rund eine Million HamburgerInnen zur Wahlurne pilgern, werden weder Panik noch Aufbruchsstimmung herrschen. Warum auch: Zur Wahl stehen regierungswillige und oppositionssüchtige Lemminge. Realsatire? Eher zum Totlachen. Florian Marten