Interview
: „Wir haben eine schöne, alte Verfassung“

■ Ingo Müller, Grundsatzreferent im Justizressort, wirbt für die Ablehnung der Verfassungsänderung bei der Volksabstimmung

taz: In fast allen Ländern und dem Bund kann die Verfassung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments geändert werden. Warum soll ausgerechnet in Bremen die Querulanten-Klausel erhalten bleiben, nach der ein einziger Abgeordneter Verfassungsänderungen blockieren kann?

Ingo Müller: Das ist eine völlig falsche Darstellung. Genausogut könnte man fragen: Warum soll denn eine querulatorische Minderheit von einem Drittel eine Verfassungsänderung blockieren können?

Weil 33 von 100 Parlamentariern keine querulatorische Minderheit sind.

Sie tun gerade so, als wäre es wünschenswert, wenn die Verfassung dreimal täglich geändert wird.

Aber ab und zu ist es doch wohl sinnvoll?

So sinnvoll ist es nicht. Es gibt schöne, alte Verfassungen – da ist auch eine gewisse Ästhetik und ein Pathos drin. Das dem Zeitgeist zu opfern, halte ich nicht für erstrebenswert.

Die Politik ändert sich, und ab und zu müssen sich dann auch die formalen Bedingungen der Politik ändern.

Vielleicht, aber es gibt in der heutigen Landesverfassung keine Einstimmigkeitsregel, es gibt die Volksentscheid-Regel. Und das mit der Einstimmigkeit in der Bürgerschaft ist wirklich nur eine Ausnahmeregelung.

Aber doch nur auf dem Papier. De facto hat seit 47 Jahren eine solche Volksabstimmung nicht stattgefunden. Trotzdem ist die Landesverfassung sechsmal geändert worden.

Man kann ja dem Volk nicht anlasten, wenn die politische Klasse sich dieses Instruments nicht bedient. Deren Interesse ist aber sehr stark, die Verfassung zu verändern. Und jetzt soll ihr das ausschließliche Recht dazu eingeräumt werden.

Warum ist das so gefährlich?

Weil – wie in der sogenannten Informationsbroschüre schon angekündigt – eine umfassende Verfassungsrevision folgen soll. Wir kriegen damit garantiert eine völlige Umkrempelung der Bremischen Verfassung, mit der wir immer für den Erhalt der Selbständigkeit Bremens argumentieren. Die Bremer Eigenarten, die Deputationen oder das Kollegialprinzip im Senat sollen den Verfassungsänderungen zum Opfer fallen.

Warum ist es demokratischer, wenn man gezwungen ist, die politische Auseinandersetzung nach Regeln zu führen, die 1947 beschlossen worden sind, als wenn man das nach Regeln tut, die 1994 beschlossen wurden?

Die Musterländer der Demokratie werden nach Regeln regiert, die 200 Jahre und älter sind. Eine Verfassung muß nicht täglich auf den neuesten Stand gebracht werden.

Sie finden es sinnvoll, wenn Verfassungsänderungen möglichst verhindert werden?

Sie sollten möglichst schwer gemacht werden. Selbst die Zwei-Drittel-Mehrheit ist ja schon eine Erschwernis. Die Verfassung ist gut, im Prinzip bedarf es keiner Veränderung, und deswegen soll es hohe Hürden geben. Und im Zweifel ist es besser, sie nicht zu ändern, als sie zu ändern.

Wie kommt es, daß ausgerechnet einige bekannte Bremer Linke sich hier zum Vorreiter solch einer konservativen Position machen?

Das ist reiner Zufall. Es könnten genauso Konservative sein, die an der Spittaschen Verfassung oder an alten hanseatischen Prinzipien hängen. Die Linken haben sich jetzt wohl engagiert, weil sie sehen, daß ein Stück Demokratie den Bach runter geht.

Wieviel Prozent Nein-Stimmen erhoffen Sie sich bei der Volksabstimmung am Sonntag?

Ich erhoffe mir die Mehrheit. Aber ich fürchte, es werden nur etwa zehn Prozent Nein-Stimmen sein. Die Deutschen haben ja eine größere Tendenz, immer Ja zu sagen zu Sachen, die von oben kommen. Und das wird hier auch so sein.Fragen: Dirk Asendorpf