Bilder des beschädigten Lebens

■ Mit „Hoffmanns Erzählungen“ läßt das Theater am Goetheplatz die Sektkorken knallen

Der Auftakt in der Oper hätte nicht besser sein können, und die BremerInnen waren – dem vielen Beifall und den wenigen Buhs nach zu urteilen – wild entschlossen, ihre Oper wieder toll zu finden nach den Jahren des Niedergangs, des Übergangs und auch nicht selten des Untergangs. Nun also „Hoffmanns Erzählungen“, eine der erregendsten Opern des 19. Jahrhunderts, die 1880 unvollendete Oper, mit der der Komponist Jacques Offenbach Stellung bezieht gegen die Enteignung der Subjekte, gegen die Beschädigung des authentischen Lebens. Mit der Oper zeigt Offenbach die Flucht in die Innerlichkeit und die Kunst als gesellschaftspolitisches Moment - mit heute noch erschreckender Eindeutigkeit.

Konsequent setzt die dramaturgischen Konzeption auf eine Perspektive. Dabei stützt sie sich auf die erst 1977 gefundene gesprochene Dialogfassung mit der Aktfolge Olympia-Antonia-Gulietta von Fritz Oeser und berücksichtigt weitere Funde von Michael Kaye und Josef Heinzelmann

Nicht die drei Liebesgeschichten Hoffmanns sind am wichtigsten, sondern die Rahmenhandlung, Hoffmanns Beziehung zur Muse. Mit Deutlichkeit, Kraft und Intensität, läßt der junge Regisseur Frank Hoffmann den Kampf der Muse um den Dichter Hoffmann führen. Da die Muse zur ständigen Begleitung des bereits heruntergekommenen Dichters in die Rolle des Studenten Niklas schlüft und dann dessen Verzweiflung enorm hautnah dargestellt wird, erscheinen die Liebesgeschichten als Visionen, vielleicht auch als Projektionen des Unbewußten, sie werden auf seltsame Art nicht wirklich.

Wirklichkeit holt der Regisseur auf andere Weise herein: jede Geschichte wird eingebettet in Chigagoer Unterwelt-Story (Kostüme von Swetlana Twetkowa), es geht in allen drei Geschichten um – diese Rolle spielt immer der Chor – mafiösen Mord. Es macht die Qualität dieser durch und durch beeindruckenden Inszenierung aus, daß sie einem Reichtum an treffsicheren und phantastischen Bildern und Gesten ein stets prickelndes Maß an Gleichzeitigkeit zwischen Innen-und Außenwelt findet, zwischen Fiktion und Realität, zwischen Schein und Wirklichkeit. Offenbachs Hoffmann reibt sich auf zwischen den Illusionen seines Alltags und den Rettungsmöglichkeiten, die am Ende keine sind: in den Armen der Muse stirbt Hoffmann, der seine Kreativität mit dem Erzählen seiner Geschichten ausgeschöpft hat.

Ein wunderbares Bühnenbild baute Christoph Rasche für die Konzeption des Regisseurs: Nach dem ersten Bild in einer Theaterkantine öffnet sich der Hintergrund und ein riesiges Buch wird – stets von Niklas – aufgeschlagen. In diesem Dreieck finden mit nur wenigen Requisiten die tödlichen Geschichten statt: Zuerst Olympia, die Puppe, deren Eisengestell um ihren Körper die Illusion des Hoffmann doppelt deutlich macht. Dann Antonia, die über ihr Singen in den Tod getriebene lungenkranke Sängerin. Dann Giulietta, die venezianische Kurtisane, die ihm sein Spiegelbild raubt.

Mihai Zamfir als Hoffmann wurde zu einer schauspielerischen Leistung gebracht, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, sängerisch sah es am Premierenabend eher heikel aus. Ron Peo in den vier Bösewicht-Rollen tat sich am schwersten mit der Spiegel-Arie, bot aber insgesamt eine differenzierte Leistung. Erwin Feith in den anspruchsvollen Buffo-Partien mochte auch in der Gesangsparodie im Antonia-Akt auf Schöngesang nicht verzichten. Macht aber nichts! Karsten Küsters als Luther und Krespel wie gewohnt: ein Sängerschauspieler von Rang, hier auch weg von der Klamottengefahr, in der er sich sonst nicht selten befindet. Therese Waldner als Antonia und Giulietta: die sängerischen Schärfen und der Mangel an Zwischentönen am Anfang des Antonia-Aktes gaben sich rasch. Bald entwickelt sie sängerisch und schauspielerisch anrührende Gestalten. Anu Komsi als Olympia: in ihren hilflosen und in diesem Sinne überlegen gestalteten Koloraturen steckte so etwas wie die Sehnsucht nach Menschwerdung. Überragend allerdings Christiane Iven als Muse/Niklas: ihre ungewöhnliche Intensität und Präsenz ohne jegliche Überzeichnung trug maßgeblich das innerliche und äußerliche Konzept der Aufführung. Die Bremer Philharmoniker unter der Leitung von Istvan Denes spielten farbig und genau, erreichten allerdings die Tiefenschärfe der Inszenierung. Wie gesagt: viel (berechtigter) Jubel, mit dem Vertrauen in die neue Ära ausgedrückt schien.

Ute Schalz-Laurenze Nächste Vorstellungen: 16. und 21.10., Theater am Goetheplatz