Ströbele stirbt für uns

■ Der Altlinke quälte sich mit Wolfgang Templin, der sich mit der Nation quälte

„Qual 94“ – unter diesem fröhlichen Titel fand am Donnerstag abend in der Kulturbrauerei eine Diskussion statt, die sich um den geistigen Zustand des Landes sorgte. Man hätte sich wohl eher um den der Diskutanten sorgen müssen, denn auf die dramatische Frage des Moderators: „Herr Ströbele, die Gedanken der konservativen Revolution werden wieder attraktiv. Was meinen Sie dazu?“ antwortete dieser Unglücksmensch tatsächlich: „Das gibt es doch gar nicht, diesen Begriff. Für mich ist Revolution nämlich immer was Fortschrittliches, der Zukunft zugewandt.“

Daß man auf diesem miserablen Niveau schlecht profunde Ideenkritik vorbringen kann, schien allerdings niemanden zu stören. Zwei der eingeladenen Gäste fehlten ohnehin: der Öko-Künder Rudolf Bahro und Wolfgang Kowalsky von der IG Metall, der ebensowenig Scheu hat mit Rechtsaußen zu diskutieren, wie einst seine Chefs im netten Kontakt mit den DDR-Gewerkschaftsbonzen. Christian Ströbele glich diesen Verlust wieder aus, er schien mit allen altlinken Gewißheiten im Huckepack angereist zu sein, die nur vorstellbar sind. „Wir brauchen keine Nation, wir brauchen Gerechtigkeit. Ich könnte mein Leben einsetzen für mehr allgemeine Gerechtigkeit, na ja, vielleicht nicht gleich mein Leben, man weiß ja nie, aber doch schon irgendwie in die Richtung.“

Wolfgang Templin wollte jegliche Emotion aus der Nationaldebatte heraushaben, denn: „Bekenntnisse sind vor dem Denken angesiedelt.“ Für verteidigenswert hält er das demokratische Gemeinwesen und setzte nicht ganz emotionslos hinzu: „Oder ist auch das nur eine bürgerliche Schimäre für Sie, Herr Ströbele?“ Laut Templin seien aber zur Zeit all diese demokratischen Gemeinwesen national konstituiert, so daß ergo auch die Frage der Nation aktuell sei – „ob uns das paßt oder nicht“. Wäre jemand anderer als Ströbele da gewesen, hätte man vielleicht nachhaken können, warum man dann die Nation nicht einfach schulterzuckend als Realität hinnimmt, anstatt sich zu mühen, ihr einen „Wert an sich“ zuzusprechen und sie mythisch zu überhöhen.

Andrea Fischer, die das Martyrium auszustehen hat, in Hellersdorf für Bündnis 90/Die Grünen zu kandidieren, brachte die Sache wieder auf den Boden: „Tut mir leid, aber die Leute haben weiß Gott andere Sorgen als ihr Verhältnis zur Nation. Gut, ich lebe in einem Land, Deutschland. Worüber ich dann nachdenke, ist die Frage, wie ich in diesem Land leben möchte. Ohne Furcht, ohne Armut, ohne Diskriminierung.“ Sie war die einzige an diesem Abend, die nicht das Wort „Identität“ in den Mund nahm, und das tat gut. Dabei ist auch Templin alles andere als ein Neorechter, nichts deplazierter als Ströbeles Versuche, ihn und die Skins in irgendwelche Verbindungen zueinander hineinzuinterpretieren. Daß Templin sich mit der Nation quält, ist sein gutes Recht. Seine Kritik an linkem Schwarmgeist und linker Kollaboration mit dem Stalinismus allerdings ist viel treffender, und es ist nicht einzusehen, was da die Rotzbuben von der Jungen Freiheit als Diskussionspartner zu suchen haben.

Deren Gewißheiten sind nicht mehr als reziproke Ströbele-Agitation. Nochmals O-Ton: „Lesen Sie das Programm der Grünen! Wir wollen den Autopreis erhöhen und so etwas tun, um die Ausbeutung der Dritten Welt zu verhindern. Ein revolutionärer Vorschlag, der den Kapitalismus in Frage stellt!“ Obwohl es wahrlich andere Probleme gibt, so bleibt doch zu hoffen, daß sich irgendwann ein intellektuell relevanter Gesprächspartner für Wolfgang Templin finden möge. Dann wird man auch alles entsprechend „gründlich“ ausdiskutieren können. Da können Schwarze noch so oft aus der S-Bahn geschmissen werden, wir bewältigen jetzt die Frage der Nation. Und Christian Ströbele stirbt für uns. Oder zumindest so irgendwie in die Richtung. Marko Martin