Anarchistischer Nußknacker

■ „Alles ist Dekoration“ oder auch umgekehrt. Eine Fotoausstellung zur Vor- und Nachwendezeit im Foyer der Volksbühne

Der Putzmann, der vor der Ausstellungseröffnung noch mal über die Rahmen wischt, sieht sich die Bilder an und seufzt: „Det warn noch Zeiten! Da war allet ruijer.“ Darauf der Graphiker: „Och, so viel ruhiger war das da auch nicht.“ – „Aba Arbeit hatte man.“ – „Hast doch jetzt auch.“ – „Ja, Saubermachen. Scheiße!“

Auf der einen Seite der Fotowand, die seit gestern im Foyer der Volksbühne zu sehen ist, sind Bilder aus den letzten Jahren der DDR: „Alles ist Dekoration“ heißt dieser Teil der Ausstellung des Leipziger Fotografen Frank Feiertag. Ausschließlich Schaufensterdekorationen sind hier dokumentiert, die – wie Feiertag meint – „ironische Formen des Widerstandes zeigen“. Da steht in einer Metzgerei zum Beispiel ein veritables Schwein im Frack, das gut aus dem Zeichentrickfilm zu Orwells Animal Farm entsprungen sein könnte und schaut mit Metzgerblick auf den Betrachter herab. Daneben fordert ein Plakat Stimmen für den Kandidaten der Nationalen Front.

Oder: Eine Tierhandlung feiert in ihrem Fenster mit einem leuchtenden Plakat den „Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse“, wie zufällig liegt ein Maulkorb daneben. Sind all das tatsächlich ironische Formen des Widerstandes oder Realsatire, die erst im Lichte einer Ausstellung vier Einheitsjahre später zum Widerstand verklärt wird? Die Ironie der Bilder bleibt die gleiche.

Der Konterpart der Ausstellung heißt: „Dekoration ist alles“, dokumentiert die Nachwendezeit und da geht es nun nicht mehr um Widerstand, ob ironisch oder nicht: die fotografierten Plakatkombinationen sollen sich selbst enttarnen. „Kohl kommt!“ steht unter einem verzweifelt heulenden Babybild, zwei Obdachlose lagern unter einem Plakat, das den Weltbürger in uns fordert und der PDS-Schriftzug prangt auf einem Tote-Hosen- Plakat, von dem nur noch zu lesen ist „Kauf mich!“ Das alles ist ein bißchen wenig. Wenn man zu Wahlzeiten durch Plakatalleen läuft, kann man sicher manch Lustigeres sehen, und daß „alles Dekoration“ ist, das wußte man doch vorher schon.

Schöner sind da wieder die Dekorationen der echten Anarchisten, wie in dem Eisenwarengeschäft, in dessen Schaufenster seit ewiger Zeit die selben Blecheimer angeboten werden, nur das Honecker-Porträt wurde durch ein „Freiheit statt Sozialismus“-Plakat ersetzt und ein Nußknacker kann ebenso die SED- wie die BRD- Fahne schwenken. Dekoration eben. Volker Weidermann