Am besten unsichtbar

Aktuelle Studie belegt, daß viele Studierende in illegalen Untermietverhältnissen leben müssen  ■ Von Christian Arns

Eigentlich kann niemandem guten Gewissens empfohlen werden, zum Studium nach Berlin zu kommen. Zumindest mit Blick auf den Wohnungsmarkt und die gegebene Wohnsituation müßte dringend abgeraten werden. Denn gerade zugezogene Studenten hausen oftmals in dunklen, feuchten oder aus anderen Gründen minderwertigen Wohnungen; ein erschreckend großer Teil wohnt außerdem illegal. Was bei Demonstrationen immer wieder angeprangert und von studentischen Vertretern in allen möglichen Gremien kritisiert wurde, belegt eine jetzt der Öffentlichkeit vorgestellte Studie.

2.000 Berliner HochschulstudentInnen wurden im Auftrag des Studentenwerks und des Berliner Mietervereins befragt. Der Fachbereich Architektur der Technischen Universität und das Institut für Soziale Stadtentwicklung (IFSS) untersuchten die aktuelle Wohnsituation; das Ergebnis wird im Titel der Studie vorweggenommen: „Wohnen in der Grauzone“.

Knapp die Hälfte hat gar keinen Mietvertrag

„Das geltende Mietrecht schützt de facto nur einen Teil des studentischen Wohnungsmarktes“, faßt Armin Hentschel, Projektleiter und Hochschullehrer am Fachbereich Architektur, zusammen: Denn von den vielen Untermietern hat knapp die Hälfte nicht einmal einen Mietvertrag. 40 Prozent der Befragten Untermieter gehen davon aus, daß die eigentlichen Vermieter gar nicht wissen, daß sie dort wohnen. So „hausen“ viele von ihnen, wie Hentschel betont, „in erzwungener Anonymität: Ihr Name steht weder auf der Klingel noch auf der Tür oder dem Briefkasten.“

Für Hartmann Vetter vom auftraggebenden Berliner Mieterverein ist dabei auch nicht von besonderer Bedeutung, ob einige Studierende vielleicht sogar die Möglichkeit hätten, ihr Mietverhältnis zu legalisieren, es also notfalls vor Gericht zu erkämpfen: „Das setzt viel Konfliktbereitschaft voraus, zumal enormes Prozeßrisiko besteht“, so Vetter gegenüber der taz: „Entscheidend ist nicht das materielle Recht, sondern das Bewußtsein, illegal zu wohnen.“

Und dabei geht es durchaus um relevante Größenordnungen. Rechnet man die Ergebnisse der repräsentativen Studie auf die Studentenzahlen um, ergibt sich daraus ein erschreckendes Bild: Es ist davon auszugehen, daß rund 20.000 in Berlin lebende Studenten in der ständigen Angst leben müssen, entdeckt zu werden. „Wenn man illegal zur Untermiete wohnt, liegt zwischen Wohnungs- und Haustür Feindesland“, bringt es die am Projekt beteiligte Architekturstudentin Katja Kühn auf den Punkt: „Aus Angst vor Entdeckung werden aus Nachbarn potentielle Angreifer, und an der Spitze steht der Hauswart. Man versucht sich unsichtbar zu machen. Das sind unwürdige Wohnbedingungen zu hohen Preisen!“

Und gezahlt wird keineswegs nur der reguläre Mietzins: Der illegale oder halblegale Wohnungsmarkt bringt es mit sich, daß regelmäßig hohe „Eintrittsgelder“ gezahlt werden müssen, wie es Hentschel nennt.

Völlig überhöhte Abstandszahlungen an die Vormieter, weitaus höhere Untermietpreise, als die eigentlichen Hauptmieter an den Besitzer zu entrichten haben, und Geld für die Vermittlung sind nur drei der gängigen Zusatzbelastungen, die auf dem von den Autoren der Studie ausgemachten grauen Markt üblich sind: „Im Schnitt liegen diese Sonderzahlungen bei 1.500 Mark.“

Als Ost-Student bloß nicht im Westen wohnen

Doch auch der eigentliche Mietzins hat es bereits in sich, was bei den politisch Verantwortlichen jedoch noch nicht angekommen ist. Im Westteil wohnende Studenten haben eine durchschnittliche Kaltmiete von 405 Mark monatlich aufzubringen. Ist die Miete geringer, dann besteht wenigstens eine Chance auf Förderung: 300 Mark sind vom Bafög als maximal förderfähige Wohnkosten in Westberlin angesetzt – gut hundert Mark niedriger als der tatsächlich bezahlte Durchschnitt. Ähnliches gilt für den Ostteil: Während nur Kosten bis 225 Mark förderfähig sind, zahlen die Studierenden dort durchschnittlich 73 Mark mehr, knapp 300 Mark im Monat.

Doch nach Einschätzung der Projektgruppe ist die tatsächliche Situation noch mieser: „Um tatsächliche Wohnkosten und Bafög- Ansätze für förderungsfähige Mieten vergleichen zu können, muß man die Heizkosten einbeziehen, denn die Warmmiete bestimmt die Gesamtbelastung.“

Bei durchschnittlichen Werten ergebe sich dann eine Differenz von 168 Mark im Westen und von 135 Mark im Osten. Eins sollten Bafög-Empfänger also dringend vermeiden: im Osten zu studieren, aber im Westen zu wohnen.

Das hieße nämlich, eine höhere Miete bei niedrigerer Förderungs- Höchstgrenze zahlen zu müssen.

Wer wenig hat, muß am meisten zahlen

Für Hartmann Vetter sind die Probleme der hohen Mieten auf der einen, der Illegalität auf der anderen Seite eng miteinander verbunden und bedürfen daher der gemeinsamen Lösung: Zum einen bräche der Markt für die „Profiteure zwischen den Wohnungssuchenden in Notsituationen und dem eigentlichen Vermieter“ weg, wenn umfassende Regelungen zugunsten der Untermieter getroffen würden.

Zum anderen nähme die Notwendigkeit ab, Hauptmieter zu bleiben und die Wohnung Freunden zu überlassen, wenn die Mietpreise bei Neuabschlüssen wirksam begrenzt würden: „Daß besonders Erstnachfrager und junge Haushalte mit geringem Einkommen von den extrem hohen Neuabschlußmieten betroffen sind, ist ein widersinniges Ergebnis der derzeitigen Mietenpolitik“, so Vetter.