Der Glanz der Kleider

Eine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien zeigt Porträts des Malers Jacopo Tintoretto  ■ Von Gabriele Hoffmann

Als Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, Sohn eines Färbers, 1519 in Venedig geboren wurde, hatte die Stadt gerade begonnen, sich von der vernichtenden Niederlage im Kampf mit der Liga von Papst, Kaiser und den Königen von Frankreich und Aragon zu erholen. Die Lagunenstadt ließ sich nicht unterkriegen, sie begrub ihre Expansionsgelüste und schaltete um auf Diplomatie im Sinne einer Friedenspolitik. Weltliche und kirchliche Macht vereinigten sich in der Republik Venedig mit dem Ziel einer renovation urbis, die den machthungrigen Habsburgern ebenso Widerstand leisten sollte wie der päpstlichen Gegenreformation. Der Mythos von der „perfekten Regierung“ und die vielfältigen Formen des Wohllebens lockten Künstler, Literaten und Flüchtlinge aus dem absolutistisch regierten Florenz in die Serenissima. Wie wir uns die Schicht der Herrschenden vom Dogen bis zu den Senatoren und Mitgliedern des Großen Rats um die Mitte des 16. Jahrhunderts vorzustellen haben, dafür dürften die realistischen Bildnisse Tintorettos eine zuverlässige Quelle sein. Um 1560, als Tizian sich als Porträtist der europäischen Granden höchste Anerkennung verdiente, avancierte sein Schüler Tintoretto zum offiziellen Maler des Dogen und der regierenden Adelsfamilien.

Zur diesjährigen 400. Wiederkehr seines Todestages stellte Venedig in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Museum in Wien eine von Paola Rossi und Sylvia Ferino-Pagden konzipierte Ausstellung seiner Bildnisse zusammen, die jetzt in Wien zu sehen ist, ergänzt durch Gemälde aus der reichen Tintoretto-Sammlung des Kunsthistorischen Museums.

Zum Frühwerk gehören die beiden fast identischen Selbstbildnisse aus London und Philadelphia: der jugendliche Maler, der dem Betrachter über die Schulter einen energischen, selbstsicheren Blick zuwirft. In dieser Zeit entstand eine große Zahl kleinformatiger Porträts, mit denen Tintoretto im Wettstreit mit Tizian und Veronese sich für Großaufträge zu qualifizieren suchte. Mag auch der Bericht seines Biographen Carlo Ridolfi, Tizian habe den Jüngeren aus Eifersucht aus seiner Werkstatt gejagt, eine liebevolle Erfindung sein, die frühen Bildnisse zeigen, mit welcher Sicherheit er seinem hochgeschätzten Lehrer nacheifert. In der Komposition unterwirft er sich ganz der venezianischen Bildtradition, berücksichtigt die gesellschaftliche Stellung und besondere Wünsche seiner Auftraggeber schon bei der Wahl des Formats. Was ihn aber von Anfang an auszeichnet, ist der Verzicht auf dekoratives Beiwerk: Alle Aufmerksamkeit gilt der Physiognomie der Dargestellten. Mit flüssiger Farbe und schnellem Pinselstrich modelliert er Gesichter und Hände, die aus dem monochromen Dunkel des Hintergrundes leuchten.

Zu den Meisterwerken Tintorettos um die Mitte der 50er Jahre gehört ein Porträt des Prokurators Jacopo Soranzo, bei dem das schmale Greisengesicht durch einen rotsamtenen, von flackernden Faltenstegen durchzogenen Gewand-„Sockel“ geistige Spannkraft bekommt. Auffallend gering ist das Interesse des Malers an den Damen der herrschenden Adelsfamilien. Nicht ihre Physiognomien, der Glanz der Kleider, malerisch von höchster Bravour, zeichnet die wenigen Beispiele in der Ausstellung aus. Bedauerlich nur, daß man sich mit der Beleuchtung in Wien unverständliche Inszenierungsgags leistet: dem „Bildnis einer Dame in Trauer“ wird die Lichtmenge einer traurigen Funzel, einem späten Selbstbildnis die Helligkeit einer Operationslampe zugemessen.

Der Venezianer war kein Rebell, er hielt sich an die vom Staat vorgegebenen Ordnungsstrukturen ebenso wie an die von Giorgione und Tizian begründeten Konventionen der Bildniskunst.

Votivbilder, die dazu dienten, die Amtssitze der Regierenden zu dekorieren, geben in dieser Ausstellung (zusammen mit den auf Holz gemalten Dekorationszyklen mit alttestamentarischer Thematik aus dem Besitz des Museums) eine Vorstellung von Tintorettos malerischer Fähigkeit zu dramatischen Inszenierungen. Auf einer über fünf Meter breiten Leinwand präsentieren sich drei Senatoren in Amtstracht, wie sie sich vor der Madonna verneigen und ihr durch Diener einen Sack Gold überreichen. Tintoretto durchbricht die Konvention, wenn er die Staatsbeamten in direkten Kontakt mit der Gottesmutter treten läßt und damit eine menschlich vertraute Atmosphäre schafft. Auf einem Devotionsbild mit der Familie des Dogen Alvise Mocenigo vor der thronenden Madonna blicken die Porträtierten nicht auf Maria, sondern aus dem Bild heraus auf den Betrachter – fast wie bei einem Propagandabild, das für die „gute Regierung“ in der engen Verbindung von Kirche und weltlicher Macht wirbt.

Bis 30.10. im Kunsthistorischen Museum Wien. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Der Katalog kostet 390 ö.S.