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Aufräumen für Aristide

Die haitianische Hauptstadt bereitet sich auf die Rückkehr des gewählten Präsidenten vor / Doch während die Menschen in den Slums feiern, zeigt sich die Oberschicht verunsichert  ■ Aus Port-au-Prince Andrea Böhm

Eigentlich ist das Ultimatum für die Schweine längst abgelaufen. Aber auf der Rue Nationale stöbern drei ausgewachsene Exemplare ungestört in einem der großen schlammigen Müllhaufen nach verfaultem Gemüse und Obst. Bis Donnerstag, so hatte der Bürgermeister in Port-au-Prince verkündet, sollten alle Tiere von der Straße verschwunden sein. Evans Paul, ein Aristide-Anhänger, der die Zeit der Militärherrschaft im Untergrund überlebt hat, ist gerade erst wieder in sein Amt als Stadtoberhaupt zurückgekehrt. Er will die Hauptstadt bis zur Rückkehr des Präsidenten so schön und sauber wie möglich machen.

Kein leichtes Unterfangen in einer Stadt, in der vom Charme der Morbidität nur noch letztere zu spüren ist. Ein fast unmögliches Unterfangen in den Slums der „Cité Soleil“, wo die Bewohner mitsamt ihren Hütten aus Blech und Pappe oft in Schlamm und Müll versinken. Doch das hält sie nicht davon ab, die Rue Nationale, eine der wenigen geteerten Straßen, zu fegen und zu schmücken. Seit zwei Tagen kniet die siebzehnjährige Veronique François am Straßenrand, taucht Steine in eine weiße Lauge und drückt sie in den aufgeworfenen Graben. Zwei Buchstaben noch – dann wird da in großen Lettern zu lesen sein: „Willkommen zu Hause, Aristide, Präsident von Haiti“.

Hinter den Ziegeln des „Camp Democracy“ lugen amerikanische GIs hervor. Auf die Frage nach den alten Zeiten drehen sich zwei der Umstehenden um und ziehen ihre Hemden aus. Der Rücken des einen weist zwei vernarbte Schußwunden auf, der des anderen eine handtellergroße Narbe, verursacht durch einen Machetenhieb. Es sind Zeugnisse nächtlicher Überfälle durch Soldaten oder „Attachés“, deren Terrorkampagnen sich in den letzten drei Jahren vor allem gegen die Slumbewohner richteten – dort, wo die Loyalität zu Aristide am größten ist. Seit dem Einmarsch der Amerikaner herrscht Ruhe in der Cité Soleil. „Man kann wieder ruhig schlafen“, sagt Veronique. Mit allen anderen Ansprüchen wolle man sich zurückhalten. „Aber ein paar kleine Beweise für Reformen“, wirft ein anderer ein, „möchten wir schon sehen.“ Zum Beispiel Dämme oder Abwassergräben, damit nicht jede Regenflut ihre Hütten wegschwemmt. Zu Hunderttausenden werden sie heute zum Flughafen und dann zum Präsidentenpalast pilgern, wo ihr „Titid“ und der amerikanische Außenministers Warren Christopher mit einer Zeremonie empfangen werden.

Im Palast haben Interim-Premierminister Robert Malval und sein Kabinett mit Aufräumarbeiten begonnen. Auf den Dächern der umliegenden Gebäude haben amerikanische Soldaten Stellung bezogen. Man fürchtet Attentatsversuche, zumal der Kommandant der amerikanischen Truppen, Generalleutnant Henry Shelton, am Donnerstag bekanntgab, zwei Generäle der haitianischen Armee seien abgetaucht, um eine Guerrillabewegung zu gründen. Besonders gefährlich ist der Samstag – weniger für den schwerbewachten Präsidenten als für das Volk, das sich zum Jubeln versammelt hat.

Es jubeln natürlich nicht alle. Auf den Hügeln der Stadt, hoch über den Slums von Cité Soleil und La Saline, lebt die Oberschicht des Landes in einer anderen Welt mit Villen, Tennisplätzen, Countryclubs und Shopping-Wochenenden in Miami. Hier werden in manchen Häusern die Gewehre geladen; man meint sich gegen Plünderungen verteidigen zu müssen. Hier gilt Aristide als Demagoge und rhetorischer Brandstifter, der das Land unweigerlich in den Bürgerkrieg führen wird.

So betrachtet, wäre es das letzte fröhliche Treffen, das die Mitglieder des „Rotary Clubs“ von Port- au-Prince-Süd an diesem Abend vor der Rückkehr ihres Angstgegners abhalten. Man hat sich im renommierten Hotel „Oloffson“ getroffen, wo zwar der Putz von den Wänden blättert, aber das abendliche Buffet exzellent und die Getränke reichlich vorhanden sind. Von den jungen Geschäftsleuten, den Söhnen und Töchtern reicher schwarzer Familien, die sich da zum Debattieren beim Rumpunsch versammelt haben, hegt keiner besondere Sympathien für die Terrorkampagne des Militär- und Polizeiapparates.

Fast alle sind der Meinung, daß gewisse Schritte gegen die Armut im Lande nötig sind. Doch auf keinen Fall wollen sie einen Befreiungstheologen im Amt des Präsidenten, der zu heftig am sozialen Gefüge rüttelt. „Man kann nicht die Armen reicher machen, indem man die Reichen arm macht“, sagt Albert Dorelian, der in Haiti den US-Konzern IBM repräsentiert und dessen Bruder zum Stab von Raoul Cédras gehörte. Nun fürchtet Dorelian um die Unversehrtheit seines Consulting-Büros – und um seine wirtschaftliche Zukunft. Aristide ist in seinen Augen ein theologisch vernagelter Fanatiker, der nichts von Ökonomie und der Notwendigkeit einer prosperierenden Oberschicht versteht. „Die braucht man in jeder Gesellschaft, sonst geht nichts voran.“

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