„Bescheuert“ am Wahltag

■ Deutschland: Ein Streichelzoo mit Bocciabahn / Alle Parteien-Spots in der Schauburg

Was uns da alles entgangen ist – und Schuld hat Radio Bremen. Weil die Senderchefs ihre Unabhängigkeit demonstrieren wollten, durften wir die Wahlwerbespots nur bei der Konkurrenz bewundern. Chance verpaßt, kann man da nur sagen. Denn billiger kommt der notorisch klamme Hutzelsender nie und nimmermehr an derartige Kleinode der Hochkomik heran. Chance genutzt, kann man nur der Schauburg gratulieren. Dort wurde pünktlich zum Wahltag ein Mammutprogramm mit 26 Spots abgespult, und den ZuschauerInnen hat's gefallen. Auch wenn selbst die Gutwilligsten nach gut eineinhalb Stunden ein wenig glasig in's Freie gewankt sind.

Von den „Bibeltreuen Christen“ bis zum „Bund Sozialistischer Arbeiter, deutsche Sektion der Vierten Internationale“ – neunzehn Parteien und Parteichen waren vertreten. Die meisten würde kaum einer kennen, wenn sie sich nicht alle vier Jahre per Bildschirm melden würden. Aber so erfüllt sich ein alter linker Traum: Privates und Politisches als eine Einheit. Jede Wette, gerade die Spots von den Kleinparteien haben Onkel Herbert und unser Karl-Heinz sein Cousin mit der neuen Sony aufgenommen. Die hat sogar Verwackelschutz.

Wir dürfen teilhaben an einer fröhlichen Runde in der Bundeszentrale der Ökologisch-demokratischen Partei. Erst hatten uns ernst aber entschieden dreinblickende Menschen vor dem Öko-Kollaps gewarnt, jetzt ist alles in Butter. Ein Schock Gutgelaunter lächelt in die Kamera – wahrscheinlich ein Gruppenbild von der letzten ÖDP-Mitgliederversammlung.

Bayern ist nicht schwartzgelb oder rotgrün, sondern immer noch weißblau, hämmert uns die Bayernpartei ein. Die fällt aus dem Rahmen, weil sich die Videotechnik in bayrisch Kongo noch nicht durchgesetzt zu haben scheint. Los von Bonn – als Diaabend. Den ganz anderen Weg ist die Stattpartei gegangen. Motto: Heinz Sielmann bebildert ein Hörspiel frei nach Toyotaaah – aus zwanzig Sekunden Tierfilm werden drei Minuten Wahlfilm. Man nehme ein Kamel und einen Strauß in Großaufnahme und Zeitlupe, und wenn man beide immer wieder vor und zurück laufenläßt, kann man die besemmeltsten Dialoge darunterlegen. Das war noch nicht einmal witzig.

Apropos Tiere. Die Tierschutzpartei schockt uns mit festgedübelten Laboraffen, aber wenn erstmal die Tierschützer rankommen, dann ist alles prima. Wir sehen: Zicklein (niedlich!), Häschen (süüüüß!) und Elefanten, vonwegen der globalen Ökosysteme. Die Welt – ein Streichelzoo. Aber einer mit angeschlossener Bocciabahn. Die kommt von der FDP. Wenn das Deutschland ist, sagen uns die Liberalen und irgendwer wirft ein schwarzrotgoldenes Kügelchen in weißen Sand, dann aber obacht. Es lauert Gefahr. Zum Beispiel die schwarze und rrrumms, rammeln drei schwarze Bocciakugeln unser Nationalkügelchen ein. Nicht minder gefährlich die roten und die grünen. Deshalb müssen unbedingt die blaubelben dabeisein – und plötzlich steht da der Bocciakönig Kinkel mit den blaugelben Kugeln in den Händen.

Es war so schön: Die Autofahrerpartei, wo der Mann beim Zahlen an der Tankstelle so leidet (“Autofahrer – Ihr seid das Volk!“). Oder die SPD-Troika komplett in Zeitlupe wandelnd in einer Säulenhalle, oder die Mutti von Rudi Scharping mit den Kinderfotos. Oder die Kanzlerspots alle hintereinander. Lehrreich, weil ein paar Sprüche aus dem Volk in allen Spots Verwendung gefunden hatten. Wahrscheinlich hatten die nicht mehr. „Simply the Best“, sang uns die CDU dazu. Oder die superaufwendige CSU-Werbung. Bis zur „Christlichen Mitte“ gegen die Islamisierung der Republik: „Jede Woche eine Moschee mehr“.

Die Grünen hatten gar keine eigenen Spots, sie hatten den Platz frei produzierten Videos gegen Gewalt und Ausgrenzung zur Verfügung gestellt. Doch beim jungen Publikum reichte das nur für den zweiten Platz. Gewinnerin bei der Schauburg-Befragung war die PDS. Am Ende eines Spots, in dem Gregor Gysi über die machtgierigen Politiker – natürlich nur von den anderen Parteien – hatte herziehen können, sagte er das Ablacher-Sprüchlein. „Wählen Sie doch PDS, sieht ja keiner“. Lustig.

Hörfunkchef Hermann Vinke war da: „Sowas Bescheuertes möchte ich nicht verbreiten“, sagte er auf die Frage, warum all das nicht gesendet worden ist. Was uns nicht alles entgangen ist, und die sind auch noch Stolz drauf!

Jochen Grabler