Krümel in der rosa Pofalte

■ Mit der deutschen Erstaufführung von Dario Fos „Hilfe, das Volk kommt!“ gibt das Schauspiel des Bremer Theaters einen äußerst lendenschwache Einstand

Mit einer deutschen Erstaufführung, zum Auftakt des saisonalen Premierenmarathon, versucht die neue Intendanz unter Klaus Pierwoß nicht nur ein Prestige-Schnäppchen zu schlagen. Dario Fo am Wahlwochenende in Bremen, das ist auch als Bekenntnis zum politisch engagierten Theater zu verstehen. Schade nur, daß dieser Dario Fo die neue Saison plattfüßig betritt.

„Hilfe, das Volk kommt!“ wurde von Dario Fo erst 1993 geschrieben – als Kommentar zur Gegenwart. Kaum war der Text aufgeführt, wurde Medienzar Silvio Berlusconi zum Staatspräsidenten gewählt – und Fo schrieb sein Stück über die italienischen Verhältnisse wieder um. Jetzt kommt es heiß und fettig auf den deutschen Tisch, als pikantes Appetithäppchen im schlappen Wahlkampf.

Da steht zu Beginn ein dicklicher Mann mit Aktenkoffer in einer Telefonzelle und telefoniert hektisch mit dem Polizeipräfekten, fordert Hilfe von oben. Schließlich sei er gerade einem Bombenattentat entkommen, will uns der Richter, der dem Mafiaankläger Staatsanwalt Antonio Di Pietro nachempfunden ist, weis machen. Kaum beamt es ihm eine attraktive Zufallsbekanntschaft in die Zelle, läßt der Mann die Hosen runter und stellt sich vor: Richter Pofalte, ja doch der Ehemann von Frau Rosa Pofalte, das sei er.

Dario Fo hat offensichtlich keinen Volkshelden zum Protagonisten gemacht, sondern einen, der auch nicht durchblickt, der nicht ganz ernstzunehmen ist. Aber es reicht nicht, die die runde Oliver Hardy Figur in einen großkarieten Anzug zu stopfen, man muß den Clown auch spielen. Seit Fos „Mama hat den besten Shit“ und im Clinch mit Franca Rame „Offene Zweierbeziehung“ auf den Programmzetteln stehen, garantieren sie Theatererfolge, wenn man sich an die Geschwindigkeitskontrolle hält. Die anarchischen Politfarcen, sind keine philosphischen Welterklärungsstücke. Volkstümlich der Commedia del Arte verbunden, müssen sie so hochtourig gespielt werden, wie die Vespas der handtaschen-klauenden Ragazzi durch die Innenstädte knattern.

Matthias Brenner als Richter verschleißt seine Kräfte bald in dem schaumgebremsten Versuch der Regie, die italienischen Verhältnisse von Korruption, Mafia und Politikerfilz mit deutschem Temperament zu spielen.

In Fos durchaus streichungsbedürftiger Vorlage sind die Bezüge zu Deutschland zwar denkbar, sie liegen aber nie auf der Hand. Wo das Original auf Lachen bauen kann, weil die Wirklichkeit schon in sich verrückt ist: Spitzenpolitiker verhaftet sind oder vor Gericht stehen, da ist das nicht-italienische Publikum ratlos. Wir kennen weder die Fälle aus der italienischen Tagespresse, noch gibt es vergleichbar Absurdes in hiesigen Landen. Auch deshalb will “Hilfe, das Volk kommt!“ nicht zünden. Für Bremen wurde die „Spagetti-Farce“ zum Sofakissen: schön ordentlich aufgeschüttelt und in der Mitte gescheitelt.

Aber hauptsächlich macht der Mangel an Tempo den Schauspielern die Arbeit schwer. Immer wieder sitzen sie in inszenatorischen Sackgassen, trudeln ohne Rhythmus ins Aus, wie in der Szene als der Richter mit Margit Rogall, die seinen Gegenpol, die der Polizeikommissarin spielt, im heimischen Wohnzimmer hockt. Draußen wird wild geschossen, geht die Republik mit einem Feuerwerk an politischen Selbstmorden und unglaublichen Fernsehnachrichten zugrunde, aber auf der Bühne glimmen die meisten Witze vergeblich vor sich hin. Da werden Fische im Aquarium erschossen, die Leiche im Schrank klagt ein Recht auf Improvisation ein und der gipserne Buddha schüttelt den Kopf.

Einziger Lichtblick in der Inszenierung von Carl- Hermann Risse sind die Randfiguren. Als hätte der Lehrer vergessen die Hausaufgaben zu kontrollieren, gelingt dem jungen Sven Lehmann mit der Figur des Assistenten ein Überraschungsei. Im Windschatten aller Regieanweisungen gibt er einen wortlosen Harpo Marx, dem man vor Vergnügen die Fliege gerade rücken mochte. Auch Peter Pagel gerät in seiner einengenden Rolle als Finanzpolizist nicht aus dem Tritt und spielt die Absurdität seiner glatzköpfigen Existenz unbeirrt zu Ende.

Ein mittlerer Fall von Publikumsbeleidigung ist allerdings vom Ende des Abends zu vermelden. Als Dario Fos imaginierter Untergang der gegenwärtigen italienischen Republik schon abgeschlossen scheint und im Bühnenfernsehn unter Mitwirkung des leibhaftigen Klaus Bednarz von einem Massaker unter Politikern berichtet wird, erwischt es uns noch ein letztes Mal unbarmherzig.

Wo die gekonnt- geschmacklose Kombination von Essen und Schweinerei, als überdrehte Materialschlacht zu den Höhepunkten der anarchistischen Dramaturgie zählt, mutet man uns Doktorspiele zu. Am Ende werden die mit menschlichen Leichteilen garnierten Spagettiteller vom Bühenrand verteilt, als seins die Heilsarmee.

Und als sich um den OP-Tisch, auf dem gerade noch die Notoperation eines Korruptionsfalls stattfand, ein Chor formiert und findet ein zweieinhalb Stunden langer Theaterabend, ein quälend zerdehntes Ende. Das Lied das den Premierenzuschauern vorgesungen wird, wollte das Publikum schon selbst anstimmen: Aiaiai, es tut so weh!“ - wie wahr.

Susanne Raubold Nächste Vorstellungen: 19. und 21.10., jeweils 20 Uhr, Schauspielhaus