: Beim Eiter meiner Stimmbänder
■ Krachvergnügt und brüllendfroh: Beim „Off-Festival“ im „Wehrschloß“ lebt noch der wahre Independent-Geist
„Frag da mal nach“, schreit die Inge dem Stefan nach, „ob die noch fit sind hinterm Saaltresen, sonst müssen wir die austauschen.“ Im Saal Bier auszuschenken, das sei nämlich voll der Streß, sagt Inge. Länger als eine halbe Stunde „hält das kaum einer aus“. Denn im Saal tobt das Bremer „Off-Festival“. Gerade haben die fünf Jungmänner namens „Foe Instinct“ ihren Verstärkern Luft gemacht. Zehn Minuuten Umbaupause, dann kommt die nächste Bremer Nachwuchsknüppelcombo.
Inge, die Sozialarbeiterin im Wehrschloß, macht das Spektakel seit sechs Jahren mit. Daß sich das Jugendfreizeitheim „einen Namen in Norddeutschland gemacht hat“ mit seinem beherztem Musikprogramm, weiß sie inzwischen zu schätzen. Nur „Death Metal“ kann sie „immer noch nicht hören“. Ihr Pech. Auch bei der jüngsten Ausgabe des „Off-Festivals“ am Wochenende boten die Bands Hardcoregebretter in all seinen wundersamen Facetten, mal todesverächtlich, mal überlebensfroh dröhnend. Wie sich der Krach nennt, der da jeweils zwei Nächte lang die Saalmauern erschüttert – das ist allerdings ziemlich egal. Beim „Off-Festival“ ist nach wie vor Dabeisein alles. Nur frohgemut und exzessiv muß es sein.
Eben hat er mit dem Brüllen aufgehört. Mark, der Sänger von „Foe Instinct“, setzt das Mikro ab, greift demonstrativ zur Flasche und stürzt den Inhalt runter – kein Bier, sondern isotonischer Durstlöscher. Mark ist militanter Milchtrinker. „Jetzt kommt ein Stück für alle Straight-Edge-Leute“, grollt er; der Rest ist wieder Brüllen. Hardcore und Reformhauskost, kurz: „Straight-Edge“, ist eine der seltsamen Blüten des neuen Underground. Einig ist die Szene sich natürlich mal wieder nicht. Hinterm Tresen winkt Bedienung Herbie aus Hastedt ab. „Hardcore hören, kein Alkohol, kein Fleisch, keine Drogen – ich weiß' nicht, was das mit der Musik zu tun hat“, sagt Herbie. Etiketten sind ihm suspekt. Harcore, HipHop, „ich hör' alles.“ Mark, der Straight-Edge-Brüller, hat sich zum Zeichen seiner gesunden Gesinnung ein schwarzes „X“ auf den Handrücken geklebt. „Da hab' ich mir einfach ein ,Y' gemacht“, sagt Herbie und winkt grinsend in Richtung Saal.
Eigentlich wollte Herbie ja selbst spielen. Wochenlang habe man härtstens geprobt. Bis der Sänger keinen Ton mehr 'rauskriegte. „Eitrige Stimmbänder“, sagt Herbie, „der Arzt hat ihm Singverbot erteilt.“
So hat es manche Kombo, trotz heftigster Anstrengungen, zum allerersten Auftritt doch noch nicht geschafft. Spielen kann zwar eigentlich jeder, der über einen Netzstecker verfügt. „Keine Vorauswahl“, sagt Sozi Stefan über das Auswahlverfahren; die Bands kommen quasi je nach Posteingang auf die Bühne – 15 sind es diesmal geworden, mit so malerischen Namen wie „Muttis Leiden“, „Captain Crunch“ und „Kratz“. Nicht dabei sind „Damage Inc.“, die einzige Band der Jugendlichen aus dem „Wehrschloß“. So richtig traurig ist Jürgen, der Gitarrist, trotzdem nicht. Man spiele zwar schon zwei Jahre lang tapfer im „Wehrschloß“-Keller. „Aber wir haben doch vier Monate schon nicht mehr geübt!“ Überhaupt müsse man jetzt „erstmal den Probenraum richtig ausbauen“; das sei doch ein gutes Projekt. „Besser als auf der Straße rumhängen und Scheiße bauen“ wie früher. Fahrräder, Mofas, „mit 14 kam dann das erste Auto.“ Dann war Schluß. Jetzt hängt Jürgen fast jeden Tag im „Wehrschloß“ rum. Na, die Musik bei den Konzerten sei nicht so sein Ding. Aber das kann er ja beim nächsten Festival ändern. Oder halt beim übernächsten.
Daß Jugendliche aus dem „Wehrschloß“ sich aufs Festival trauten, sei schon eher die Ausnahme, sagt Inge. „Wenn die Langhaarigen kommen“, so gegen 17 Uhr, nämlich um ihre Verstärker aufzutürmen und den Tresen zu sortieren, verdrückt die Tagesbesatzung der 14- bis 18jährigen „Freizi“-Besucher sich meistens. Der Konzertbetrieb läuft autonom, selbstorganisiert von Musikern und Hardcore-Fans. „Da gab's am Anfang schon Konkurrenzverhalten“, sagt Sozi Stefan. „Die Kiddies kommen schon mal an, um sichbei uns über die Musiker zu beschweren. Wir sagen dann einfach: Das müßt ihr schon selbst regeln; und das klappt dann auch.“
Das Selberregeln nämlich ist oberstes und einziges Prinzip im „Wehrschloß“. Wer beim „Off-Festival“ spielen will, muß nicht nur eben spielen: Plakatemalen, Infosschicken, Bierbesorgen, Bühnefegen – alles, was irgend notwendig ist, wird von den Musikern selbst erledigt. Geld spielt dabei immer noch keine Rolle. Statt dessen winkt für die angehenden Showgrößen erstmal ein Haufen Arbeit im Austausch für die Chance, im Wehrschloß spielen zu können. In den Augen der Musiker ein fairer Deal. Daß Jan, mit etwa dreißig Auftritten Erfahrung ein eher untypischer Vertreter der Spezies Off-Musiker, vor seinem Auftritt mit S.A.S.T. hinterm Tresen ackern mußte, trägt der Jungmusiker mit Fassung. „Anstregend ist das nicht, da nervt's mehr ab, für ein Konzert in eine andere Stadt zu fahren,“ sagt er knapp, um sich flugs der anstürmenden Bierkundschaft zu zuwenden.
Und wer den Tresenstreß geschafft hat, der kann sich dann beim 15- bis 30-Minuten-Gig auf der kleinen „Wehrschloß“-Bühne dann vollends verausgaben. Das gekonnte Herausschleudern vom Lärm und Energie in möglichst kurzer Zeit galt auch diesmal als wichtigster Gradmesser für die Publikumsgunst. Allerdings: Bremens Nachwuchs zeigte sich in diesem Jahr schon mal gelegentlich professioneller als die meisten Kapellen, die bei früheren Off-Veranstaltungen über die Bühne turnten. Vergebens wartete man auf halbstündige Umbaupausen oder Kombos der Marke „Adelheid Streidel Experience“, die vor Jahren versucht hatten, handwerkliches Unvermögen mit Kaltschnäuzigkeit und groß projezierten Wundechtaufnahmen vergessen zu lassen, dabei kläglich scheiterten und sich im wüsten Zank auf der Bühne auflösten.
Unter den neuen Bands haben die Helden des kommerziellen Hardcore – „Sick Off it All“ und „Biohazard“ - deutliche Spuren hinterlassen, die sich hören lassen konnten. „Kratz „ z.B. moshten wie kleine Amerikaner über die Bühne. S.A.S.T. überzeugten mit einem ausgefeilten Set. Die baseballbemützten Teenager verstanden es nicht nur, ohne peinliche Klischees zu unzu unterhalten. Und sogar soundtechnisch holten sie Erstaunliches aus den überlasteten verstärkern heraus, die, wie jedes Jahr, der Mehrfachbenutzung durch blauäugig angereiste Kapellen („Ich dachte, wenn ihr euren Amp sowieso mitbringt...“) standhalten mußten. Mindestens bis drei Uhr früh, bis der letzte Hardcorebrüller im Saal verhallt, bis der letzte Tresendienst das Handtuch wirft. tom/L.R.
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