piwik no script img

Apokalypse blau

■ Weltuntergang in concert mit FM Einheit und Co in München

Die Apokalypse als Soundtrack? Wenn schon die Neubauten einstürzen, liegt das Ende der Welt nahe. Und fast alle sind gekommen in den alten Pferdestall zu München: FM Einheit, Alex Hacke, Ulrike Haage von den Rainbirds, der Free Jazzer Phil Minton, Hans-Joachim Friedrichs, Ex-„Mister Tagesthemen“, ein echter Pater und noch ein paar mehr; eine Produktion der Hörspielabteilung des BR, des Bayerischen Staatsschauspiels München und des „Labors“ – eine fröhliche Vereinigung von high and low unter dem großen Mantel der Kultur?

Die Musik wurde gemeinsam von FM Einheit und Haage komponiert: 28 songartig aufgebaute Abschnitte, meist bestimmt von präpariertem Klavier (Haage), Samples (der Autor der Text-Parts Andreas Ammer) und FM Einheits gewohnt brachialer Geräuscherzeugung. Daneben eine Discoversion von Händels „Messias“, eine Jazz-Version von Gloria Gaynors „I will survive“ und ein Countrysong. Eingängige Popstücke, virtuos vorgegebenes Material benutzend und verfremdend – doch hätte ich mir von FM Einheit ein bißchen mehr Zerstörung erwartet.

Fast schon hört es sich zu gut an – Apokalypse light? Weltuntergang in concert? „Apocalypse Live“, soviel kann man sagen, liegt irgendwo im unklaren Grenzgebiet von Performance und Hörspiel in concert. Wie schon bei der ersten gemeinsamen Arbeit von Ammer/ FM Einheit, „Radio Inferno“, hat Andreas Ammer, mehrfach ausgezeichneter Hörspielautor, eine Textcollage zusammengestellt, die einerseits das Original zitiert, andererseits lapidar kommentiert: „Langsam wird die Unendlichkeit langweilig.“

Zum Glück ist das nicht so schwer, wie es klingt, und am Ende ist der Pop-Appeal von Vorteil. Ammer versteht es, seine Texte so aufzubauen, daß sie wie Hits funktionieren. Jetzt konsumieren, später nachdenken. Ein kleines bißchen Horrorschau. Der Text lebte während der Aufführung von seinen Interpreten: dem überragenden Phil Minton, dessen Gesang von Soundpoetry bis zu Bühnenpathos reichte, von Hacke, der als Mischung von Schnoddrigkeit und Abstand die apokalyptischen Schrecken vorlas, dem Countertenor David Greiner und dem unnachahmlichen Fernsehton von Friedrichs. Die Popgeschichte muß nach diesem Abend sicher nicht neu geschrieben werden, Feuilletonisten, die allzusehr vom Sinn zehren, werden nicht satt werden – aber unterhaltsam war's. Ach ja: Am Schluß von „Apocalypse Live“ sang Hacke noch einen Song von Hank Williams. Apokalypse blau. Martin Zeyn

Voraussichtlich im Februar noch zwei Aufführungen. Zur Produktion erscheint im Januar eine CD bei Rough Trade.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen