Einsamer Balladur

■ Frankreichs Premier nach Rücktritt des Industrieministers auf Tauchstation

Paris (taz) – Geopfert auf dem „Altar der Staatsraison“ – so sieht sich Frankreichs Ex-Industrieminister selbst, seit er am Freitag nach wochenlangen Diskussionen über seine Integrität zurückgetreten war. Dem 48jährigen Gérard Longuet von der „Parti Républicain“ (PR) werden Bestechlichkeit und Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsgesetz vorgeworfen. Regierungschef Edouard Balladur hatte ihm eine Bewährungsfrist bis Ende des Monats eingeräumt, doch nachdem Ende der vergangenen Woche erst der frühere Minister Alain Carignon wegen Korruption inhaftiert wurde und dann auch noch ein berühmt-berüchtigter Parteienfinanzier neue belastende Aussagen gegen Longuet machte, war der Industrieminister nicht mehr zu halten.

Die Affaire hatte vor Wochen begonnen, als aus den Ermittlungen von Untersuchungsrichtern bekannt wurde, daß Longuet für seine ansehnliche Villa in Saint- Tropez nur einen Freundschaftspreis gezahlt hat. Die Baufirma erhielt – im Gegenzug? – Aufträge für umfassende öffentliche Arbeiten in Longuets lothringischer Heimat, wo der Industrieminister als Regionalpräsident fungiert. Tage später kam heraus, daß Longuets PR viele Millionen Franc aus undurchsichtigen Quellen kassiert hat. Das Geld kam teilweise von Konten in der Schweiz. Absender waren französische Unternehmen, deren ganzer Daseinszweck dem „Geldzapfen“ für die Partei dient.

Die Enthüllungen über die Herkunft des Schwarzgeldes der Parti Républicain dürften in Frankreich weitere Politiker und Industrielle zu Fall bringen. Regierungschef Balladur ist nach dem Rücktritt seines Superministers, der nebenbei auch für Post und Telekommunikation zuständig war, erst einmal auf Tauchstation gegangen. Schließlich sind noch vier weitere MinisterInnen in seinem Kabinett, deren Namen im Zusamenhang mit Affairen genannt werden: Verteidigungsminister François Léotard, Entwicklungsminister Alain Madelin, Entwicklungshilfeminster Michel Roussin und Sportministerin Michèle Alliot-Marie. Wenn er sie alle entließe, wäre Premier Balladur sieben Monate vor den französischen Präsidentschaftswahlen, bei denen er selber kandidieren will, ziemlich einsam. Dorothea Hahn