Israel steht einig hinter Rabin

Breite Unterstützung für die Militäraktion in der Westbank zur Beendigung der Geiselnahme / Entführter Soldat wurde getötet / Verhandlungen mit der PLO sollen fortgesetzt werden  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

In Israel ist es schon immer üblich gewesen, eigene militärische Operationen nicht zu hinterfragen. Zumindest im ersten Stadium stellt sich jeweils eine breite „Koalition der nationalen Einheit“ her, die die Beschlüsse der Regierung oder Befehlshaber im nachhinein absegnet. So kommt es, daß nach dem blutigen Ende der Geiselnahme am vergangenen Freitag bislang nur wenige kritische Stimmen laut wurden. Bei der Militäraktion nördlich von Jerusalem waren neben dem entführten Gefreiten Nachschon Wachsman ein weiterer israelischer Soldat sowie drei Kidnapper vom militärischen Arm der Hamas-Bewegung ums Leben gekommen. Aber wie bei ähnlichen früheren Gelegenheiten wird wohl auch diesmal die Demonstration der nationalen Einheit, von der sich bislang nur kleinere linke Oppositionsgruppen und Vertreter der arabischen Öffentlichkeit in Israel distanzierten, nicht lange aufrechterhalten bleiben.

In einer seltenen Solidarisierungskampagne mit der Regierung haben sich alle Fraktionen des rechten Oppositionslagers im israelischen Parlament geschlossen hinter Ministerpräsident Jitzhak Rabin (Arbeitspartei) und die von ihm am Freitag angeordnete Militäroperation gestellt. Der Vorgänger Rabins im Ministerpräsidium, Likud-Führer Jitzhak Schamir, pries Rabins „mutigen Versuch, den entführten Soldaten Wachsman nicht auf dem Verhandlungsweg, sondern durch eine Militäroperation zu befreien“, als „wunderbare Rettung Israels von der drohenden Gefahr weiterer Entführungs- und Erpressungsversuche“. Rabins „großartiger Beschluß, kompromißlos zum Angriff überzugehen“ hätte auch Arafats Leute und Hamas überrascht, meinte Schamir. – Als nächste „konsequente“ Schritte fordert die Opposition nun eine ständige Blockade des Gaza-Streifens und ein dauerndes, allgemeines Einreiseverbot für Palästinenser nach Israel. Außerdem sollen alle weiteren Verhandlungen mit der PLO aufgekündigt werden, bei denen es um die Ausdehnung des Autonomie-Abkommens auf die Westbank geht. Schließlich fordert die Opposition israelische Militärinterventionen gegen Hamas auch innerhalb des Autonomiegebiets von Gaza, falls Arafats Polizeieinheiten diesen Kampf nicht selbst erfolgreich erledigen.

In der Regierungskoalition werden unterdessen vorsichtige Fragen gestellt, beispielsweise, ob es nicht richtiger gewesen wäre, wenn Rabin, anstatt allein zu entscheiden, auch seine Minister zu Rat gezogen hätte. Darauf entgegnete Rabin, jede Beratung, auch im Rahmen seines inneren Sicherheitskabinetts, hätte die notwendige Geheimhaltung der Militäraktion gefährdet.

Gefragt wird in Koalitionskreisen auch, weshalb Rabin das Risiko eines Angriffs auf sich nahm, obgleich es eine Alternative gegeben habe, die möglicherweise weniger gefährlich gewesen wäre: die gleichzeitige Freilassung des gelähmten Hamas-Gründers Scheich Ahmed Yassin, der sich in israelischer Gefangenschaft befindet, und des entführten israelischen Soldaten.

Nach der gestrigen Kabinettssitzung teilte die israelische Regierung mit, die Verhandlungen mit der PLO würden ungeachtet des „gnadenlosen Kampfes gegen die Terroristen“ fortgesetzt. Ein Termin wurde allerdings nicht genannt. In Kreisen der Arbeitspartei hieß es, daß Rabin die Wiederaufnahme der unterbrochenen Gespräche über Wahlen in der Westbank und dem Gaza-Streifen von dem weiteren Vorgehen der palästinensischen Selbstverwaltungsbehörde in Gaza „zumindest gegen die radikaleren und bewaffneten Formationen von Hamas“ abhängig machen will.

Der für die Beziehungen mit Israel verantwortliche Vertreter der palästinensischen Behörden im Gaza-Streifen, Sufjan Abu Zeide, kritisierte das fehlende Verständnis in Israel dafür, daß Hamas eine Massenbewegung ist, die von mindestens einem Drittel der Bevölkerung im Gaza-Streifen unterstützt wird. „Israels Politik und militärische Aktionen führen nur zu einer weiteren Stärkung des Hamas- Einflusses unter der palästinensischen Bevölkerung und gefährden die Autorität der Selbstverwaltungsbehörde Arafats“, erklärte Abu Zeide.

Siehe auch Kommentar

Seite 10