Skurriler Vorschlag für die Kurilen

Rußlands Präsident Jelzin bietet Japan Freihandelszone zur Behebung der Erdbebenschäden an / Regierung in Tokio versucht durch Hilfslieferungen die Inselbewohner zu ködern  ■ Aus Tokio Georg Blume

Rußlands Präsident Boris Jelzin macht einen unerwarteten Vorschlag: Er bietet den Japanern an, daß sie die nach dem Erdbeben am 4. Oktober zerstörten Einrichtungen auf den Kurilen wiederaufbauen können. Das Geld dafür soll nur zum Teil aus Nippons Staatskasse kommen. Den Rest will Jelzin durch die Einrichtung einer Freihandelszone auf der seit Jahrhunderten sowohl von Rußland als auch Japan beanspruchten Inselgruppe auftreiben.

Das Angebot kommt dem Eingeständnis gleich, daß sich das große Rußland nicht mehr zutraut, seine östlichste Provinz in der Not mit dem Nötigsten zu versorgen. Über tausend Menschen, also fast jeder 20. Kurilenbewohner, mußten in den letzten Tagen aufs Festland evakuiert werden. Die russische Regierung bietet ihnen dort eine neue Bleibe. Hilfe für den Neuaufbau der Inseln hingegen kann Jelzin nicht versprechen. Reichte mithin ein Erdbeben aus, um die Russen von den Kurilen zu vertreiben?

Nein, ließ die japanische Regierung hochmütig verkünden, an einer Freihandelszone werde man sich nicht beteiligen, weil das einer Anerkennung der russischen Hoheitsrechte über die Kurilen gleichkäme. Lieber wäre man bereit, humanitäre Hilfe zu leisten: Ein Schiff mit Lebensmitteln habe vor Ort bereits Anker geworfen, darüber hinaus stehe eine Million Dollar für Hilfsleistungen zur Verfügung.

Die wirtschaftliche Not der Kurilenbewohner, schon immer als langfristige Waffe der japanischen Rußlanddiplomatie einkalkuliert, scheint sich nun als nützlich zu erweisen. Schon vor Monaten hatten Umfragen unter der russischen Inselbevölkerung einen Wandel des Stimmungsbildes zugunsten der bisher eher unbeliebten Japaner angezeigt. Der Grund: Viele Hilfsversprechen aus Moskau waren nicht eingelöst worden.

Aber noch von anderer Seite droht eine Verschärfung des Kurilenkonflikts. Erst Mitte September waren zwei chinesische Fischer in der Nähe der Inseln umgekommen, nachdem die russische Küstenwache ihre Boote beschossen hatte. Auch japanische und südkoreanische Boote wurden in den letzten Wochen angegriffen und teilweise versenkt, die Fischer konnten allerdings gerettet werden. Dabei geht es den Betroffenen oft nicht mehr als um den Tagesfang, der in der Nähe der Inseln sehr viel reicher ausfällt.

Sowohl die Armseligkeit des Fischerlebens in Nordjapan als auch die von den Tokioter Regierenden bewußt nicht näher definierte legale Situation mögen die Fischer veranlaßt haben, sich im russischen Hoheitsgewässer der Gefahr von Kontrollen auszusetzen. Kaum auszudenken, welchen Aufruhr es in Japan verursachen könnte, würde demnächst auch ein japanischer Fischer in die Ewigkeit versenkt. Doch aus Mangel an Lösungen für die wirtschaftliche Not lassen es die Großmächte offenbar auf Schlimmeres ankommen.