Antifaschistischer Wochenendausflug

Am Samstag demonstrierten erstmals deutsche und dänische AntifaschistInnen gegen die dänischen Schlupflöcher für deutsche Altnazis / Gesetzesverschärfungen gefordert  ■ Aus Kollund Marco Carini

Etwas Angst hat Svend Erik Lassen, der Vorsitzende des Kollunder Bürgervereins schon. „Angst vor Unruhen und gewalttätigen Ausschreitungen.“ Zum ersten Mal sind letzten Samstag nicht nur dänische, sondern auch zahlreiche Antifaschisten aus Norddeutschland in die 400-Seelen-Gemeinde an der Flensburger Förde gefahren, um „der deutsch-dänischen Nazi-Connection ein Ende zu setzen“. Doch auch wenn Lassen in Sorge ist, „ob alles ruhig bleibt“, er findet es „wunderbar“, daß aus dem Nachbarland Hunderte unterwegs sind, um gegen die dänischen Schlupflöcher für deutsche Neonazis zu protestieren.

Seit Anfang Oktober ist Kollund jeden Samstag Schauplatz von Demonstrationen. „Solange es nicht zu Gewalttätigkeiten kommt“, befindet auch die Besitzerin der einzigen Imbißbude, während sie ein paar Röstzwiebeln auf einen Hot Dog streut, „können hier gar nicht genug Menschen demonstrieren.“

Alle Befürchtungen erweisen sich auch an diesem Samstag als unbegründet. Ziel der Demonstration ist, wie schon zuvor, ein kleines Haus am Molevej 12. Hinter undurchlässigem Hagebuttengestrüpp wirkt das Gebäude wie eine Sommerfrische, die gerade winterfest gemacht wurde. Die blaugrauen Fensterläden sind fest verriegelt, die Seitenfenster zugenagelt. Der Hausherr hat das Grundstück schon früh am Morgen verlassen – auf Anraten der Polizei.

Seit acht Jahren lebt der heute 76jährige Thies Christophersen in der Molevej 12. Der mehrfach vorbestrafte deutsche Altnazi, der die Gaskammern bis heute leugnet, wurde zuletzt 1984 wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in Flensburg zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Haftstrafe entzog er sich durch die Flucht nach Dänemark.

Um 15 Uhr ist der Molevej von roten und schwarzen Fahnen gesäumt. Rund 1.000 DemonstrantInnen singen Widerstandslieder und beklagen lautstark die Untätigkeit der dänischen Regierung. Zur gleichen Zeit werden die aus Kiel, Hamburg, Lübeck und Rendsburg gestarteten Busse an der Grenze festgehalten. Wer noch nach Kollund will, muß die rund zehn Kilometer zu Fuß bewältigen. „Die Nazis werden nicht rausgeschmissen und wir dafür nicht reingelassen“, empören sich einige über die Grenzschikanen.

In Kollund selbst haben sich vor allem dänische Schüler, StudentInnen und autonome Antifas vor Christophersens Domizil versammelt, um für die Ausweisung des unbelehrbaren Altnazis zu demonstrieren. Unter ihnen auch der 58jährige Gunnar Björnquist, der mit seiner Frau und ein paar Freunden aus dem 30 Kilometer entfernten Sonderborg angereist ist. Schon letztes Wochenende demonstrierte der Frührentner am Molevej in Kollund. „Wir machen unsere Wochenendausflüge jetzt immer hierher“, bemerkt er lakonisch. Früher hat Björnquist noch nie an einer Demonstration teilgenommen. „Doch wenn deutsche Nazis beginnen, von hier aus die Fäden zu ziehen, müssen wir Flagge zeigen.“

„Wir brauchen schärfere Gesetze in Dänemark“

Fast acht Jahre blieb Christophers Anwesenheit in dem kleinen Ort fast unbemerkt, der alte Mann nahezu unbehelligt. Seit sich die Anzeichen mehren, daß die liberale Gesetzgebung Dänemarks immer mehr alte und neue Faschisten aus der Bundesrepublik anlockt, ist es mit der Ruhe vorbei. Im Frühsommer erwarb der Chef der in Deutschland verbotenen Nationalistischen Front (NF), Meinolf Schönborn, im nur wenige Kilometer von Kollund entfernt liegenden Kvaers über einen Strohmann ein Gebäude, um dort eine Druckerei und ein Nazi-Zentrum einzurichten. Nachdem die Kvaerser Schönborn Ende September vertreiben konnten, befürchten nun die Kollunder daß sich der NF-Führer bei ihnen niederläßt. Sein weißer Kombi wurde in Kollund bereits mehrfach gesichtet.

„Wir brauchen eine Verschärfung der Gesetze“, fordert Svend Erik Lassen lautstark auf der Demonstration. Denn das dänische Grundgesetz garantiert allen Bürgern Meinungsfreiheit. Eine Meinungsfreiheit, die so weitreichend ist, daß auch die Leugnung der Massenmorde an JüdInnen in Auschwitz davon gedeckt ist. Da die Justizbehörden nur Menschen ausliefern dürfen, die sich nach dänischem Recht strafbar gemacht haben, liefen die zahlreichen Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik bislang ins Leere. Am vergangenen Montag ist Svend Erik Lassen nach Kvaers gefahren, um mit dem erst seit wenigen Wochen amtierenden Justizminister Björn Westh im „Kvaers Kro“ über die Änderung der dänischen Gesetze zu diskutieren. „Viele Worte und wenig Inhalt“, hat er dabei vernommen. Westh kündigte an, die Meinungsfreiheit nicht anzutasten, dafür aber eine Novelle des Rassismus-Paragraphen in den „Folketing“ einzubringen.

Siehe auch Seite 11