Reiche Grüne, arme Sozis, linke Wähler

■ Wahlanalyse: Grüne erobern die Viertel der Reichen / Stammwählermobilisierung der SPD kann Absturz nicht verhindern / Klare rot-grüne Mehrheit Von Florian Marten

„Wumm. Scharping wird Bundeskanzler. Und dann nochmal Wumm! Wir gewinnen in Hamburg. Das wäre es doch gewesen!“ Die Faust von Henning Voscherau knallt auf den Tisch. Dann schüttelt er bedauernd den Kopf. Das war im Mai 1993. Gerade hatte ein seltsamer CDU-Fundi namens Markus Wegner vorzeitige Neuwahlen erzwungen und Voscheraus Traum von einer strategisch günstigen Abfolge von Bundestagswahl (1994) und Bürgerschaftswahl (1995) zerstört. Jetzt kann Voscherau Wegner noch dankbarer sein als nach der Bildung des rot-grauen Senats.

Nach dem Hamburger Bundestagswahlergebnis würde es in Sachen Bürgerschaft derzeit nämlich nicht einmal für Rot-Gelb reichen. Die 121 Bürgerschaftsmandate teilten sich nach einer Modellrechnung des Statistischen Landesamtes in 51 Sitze SPD, 45 CDU, 16 Grüne und 9 FDP. Da bei Bürgerschaftswahlen die Grünen eher noch besser, die Liberalen deutlich schlechter abschneiden, signalisiert das aktuelle Wahlergebnis einen ausgesprochen negativen Trend für die Hamburger SPD.

Das bürgerliche Lager konnte, trotz Polizeiskandal, davon nicht profitieren. CDU und FDP kommen zusammen auf deprimierende 42,1 Prozent. Hamburg hat – trotz der SPD-Schlappe – links gewählt. SPD, Grüne und PDS kommen zusammen auf 54,5 Prozent. Dabei ist es den Grünen inzwischen gelungen, so die Analyse des Landeswahlamtes, tief in das Lager von CDU und FDP einzudringen. Neben den traditionellen Schwerpunkten in St. Pauli (bis zu 40 Prozent) und in den Gründerjahre-Vierteln hat die Ökopartei inzwischen auch in Volksdorf, Bergstedt, Wohldorf, Blankenese und Othmarschen regelrechte Hochburgen.

Trotz des im Vergleich niedrigeren Ergebnisses von diesmal 12,6 Prozent (Bürgerschaftswahl: 13,5, Europawahl: 18,4) konnten die Grünen, in Hamburg alleinige Wahlsieger, erneut Stimmen hinzugewinnen. Mit diesmal 124.000 erzielten sie ihr bislang absolut höchstes Ergebnis. Der SPD, die nur an den Stadträndern zulegte, ist es trotz der unerwartet hohen Wahlbeteiligung und der Mobilisierung von Nichtwählern nicht gelungen, an frühere Zeiten anzuknüpfen.

Besonders drastisch zeigte sich das im Wahlbezirk Nord, dem sozial „modernsten“ Stadtgebiet, welches Zukunftstrends vorwegnimmt: Hier sprangen die Grünen bei den Zweitstimmen um 8, bei den Erststimmen gar um 12 Prozent nach oben. Landeswahlleiter Wolfgang Prill: „Bei den Direktmandaten stand die Persönlichkeit im Vordergrund.“ Dabei wußten die WählerInnen genau zu differenzieren: FDP-Zweitstimmen schenkten ihre Erststimme meist der CDU, die Grünen splitteten kräftig in den beiden umkämpften Wahlkreisen Nord und Altona. Dabei schlug das grüne Herz in Altona rot: SPD-Frau Dobberthien bekam grüne Leihstimmen von ihrem Kontrahenten Jo Müller, der dafür dem CDU-Bankier van Hooven in Othmarschen und Blankenese Stimmen stahl. Dennoch hätte es der in feineren Hamburger Wirtschaftskreisen immer als billiger Emporkömmling stigmatisierte rechtspopulistische Deutsch-Bankier van Hooven mit nur 750 Stimmen hinter Dobberthien fast geschafft.

Als große Bremse für noch stärkere grüne Wahlerfolge erweist sich ihre notorische Schwäche bei WählerInnen über 50. Hier liegen nach wie vor die Bastionen von CDU und SPD. Hier liegt auch der Grund, warum Krista Sager nicht mehr als 18,6 Prozent holte: Bis über 40 Prozent in den jüngeren Altersgruppen stehen deutlich weniger als 5 Prozent in der Rentnerinnen-Generation gegenüber. Eine grüne Funktionärin lachend: „Wehe SPD, wenn wir erstmal alle im Altenheim sitzen.“