Nach dem Wahldebakel: Sozis lecken ihre Wunden

■ SPD sucht Schuldige / Im Angebot: Medien, militante Grüne oder auch die PDS

Öffentliches Wehklagen schon am Morgen danach. Mit unverhohlener Selbstanklage zog der Hamburger SPD-Landesvorstand gestern früh Bilanz: „Wir sind besorgt über das Ergebnis der Sozialdemokraten in Hamburg. Von den Verlusten der SPD konnten in erster Linie die Grünen profitieren. Das hat sicherlich auch hamburgspezifische Gründe. Damit wird sich die SPD in den nächsten Monaten intensiv auseinandersetzen.“ Und in Richtung Bonn heißt es mahnend: „Wir wenden uns entschieden gegen alle spielerischen Überlegungen zu einer Großen Koalition.“

Bürgermeister Henning Voscherau konnte gestern morgen nicht verhindern, daß die Rot-Grün-Befürworter ihre Sicht der Dinge zur offiziellen Hamburger Parteilinie erklärten. Moralische Autorität gibt den Linken der Schock über das miserable Hamburger Ergebnis. Die Analytiker der Partei mahnten denn auch, der Rutsch unter die 40-Prozent-Marke stelle ein Alarmsignal der höchsten Gefahrenstufe dar. Denn: Mit einer überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung, einer halbierten FDP, schwachen Reps und einer überaus mageren CDU waren die Rahmenbedingungen für ein respektables Ergebnis der SPD durchaus gegeben. Ein Hamburger SPD-Bundestagsergebnis, welches nur auf westdeutschem Durchschnittsniveau liegt – ein derartiges Debakel hat es bislang noch nicht gegeben.

Also „Strafe für Rot-Grau“, wie es viele enttäuschte GenossInnen am Wahlabend in der Hamburger SPD-Zentrale artikulierten? Stadtchef Voscherau sieht das ganz anders: Da sind zunächst die Medien, die dafür sorgten, daß es „vor einigen Monaten einen gleichlaufenden Stimmungsumschwung in veröffentlichter und öffentlicher Meinung“ gab. Eine verschwörerische Medienkampagne, die „Kohls Wohlbefinden“, so SPD-Chef Kuhbier, hochschrieb, statt sich um die wirklich wichtigen Sachthemen zu kümmern.

Wolfgang Curilla, in Hamburg-Nord von den Wählern per Erststimme abgestraft, sieht sich selbst als Opfer böser Medienwirkung: „Weil taz und Hamburger Abendblatt“, so der Ex-Senator, „die Sache mit dem Überhangmandat nicht verstanden haben, obwohl ich es ihnen immer wieder erklärt habe“, sei Hamburg-Nord verloren gegangen. Henning Voscherau entziffert Curillas Pleite anders: „Krista Sager ist inzwischen eine Art Polit-Star. Sie ist eine wichtige politische Frau.“ Aber: „Sie hat militant gegen die SPD Wahlkampf geführt. Mit 20 Prozent für sie habe ich gerechnet.“ Sagers Attacke in Nord als gezielter Racheakt gegen die SPD-Linke: Diese Sicht der Dinge kursiert in großen Teilen des gehobenen Funktionärslagers. Aber selbst Angelika Mertens, in Eimsbüttel immerhin erfolgreich, ist sauer auf die grünen Wähler: „Die stimmen einfach Grün durch. Das ist kein ermutigendes Signal für Rot-Grün, wenn eine wie ich, die immer für Rot-Grün eingetreten ist, keine Resonanz erhält.“

Den Wandsbeker Umweltsenator Fritz Vahrenholt juckte es dagegen ganz woanders. Ein wenig verbittert und mit ironischem Unterton: „Die PDS in Bonn? Als alter Stamokapler find ich das in Ordnung. Besser jedenfalls als die Grünen.“ Henning Voscherau freilich weiß, daß alles sowieso schon längst feststand und niemand an nix Schuld hat: „Herbert Wehner hat es 1982 gesagt: Jetzt kommen 15 Jahre CDU.“ Florian Marten