Mut zum Powackeln

■ Die neue Bremer Tanzchefin säte Polit-Klischees - und erntete ratlose Gesichter im Premierenpublikum

Eine Stunde nur dauerte das Tanzstück „Märkische Landschaft“, mit dem am Samstag Susanne Linke die Tanzsaison am Bremer Theater eröffnete. Aber es wurde eine lange Stunde. Ratlos blätterten die ZuschauerInnen im Programmheft. Doch der Dramaturg mochte ihnen nur mit drei verwaschenen Sätzen auf die Sprünge helfen: Um sehr deutsche Geschichten gehe es hier, um Geschichten von „zerschlagenen und voller Hoffnung wieder zusammengefügten Paradiesen, von vielfältigen Teilungen und einfältiger Bemühung um Einheit“. Aha. Immerhin: Es geht also um die deutsche Einheit.

Das sehen wir aber ohnehin. Die neue Chefin des Bremer Tanztheaters fährt schließlich überdeutliche Zeichen auf. Da leuchten 15 Peitschenlampen ein Geviert mit zwei Mauern aus – aha, die Grenze (Bühne: Thomas Richter–Forgách). Da tragen die sieben Tänzer ihre Staubmäntel mal richtigherum und mal mit dem Futter nach außen – aha, die Wendehälse (Kostüme Astrid Reinhardt). Da schaut einer dauernd auf die Uhr, bis der Nächste endlich auch auf die Uhr schaut – aha, die Durchkapitalisierung des Alltags. Oder so ähnlich.

Geradezu dankbar schon muß man Susanne Linke sein, daß sie nicht mehr wie in der Berliner Uraufführung einen Spielzeug-Mercedes über die Bühne rollen läßt, dies allerliebste Requisit neudeutscher Inszenierungen. Das alles sind keine neuen Bilder für die deutsche Befindlichkeit, sondern Klischees. Wer auf solche Weise das Tanztheater politisieren will, erreicht noch nicht mal das Niveau eines vertanzten Leitartikels.

Abhaken? Nun, übersehen wir mal die politischen Phrasen, bemühen wir uns ein bißchen. Wir sehen Männer in hellen Trenchcoats, hellen Hosen und ganz hellen Schuhen – Leute mit ein bißchen Zeit und Geld also. Männer, die sich mit sich selbst beschäftigen müssen. Das würden wir gern sehen, welche Verrenkungen die sieben Körper anstellen müssen, um zueinander zu finden, ob sie sich anfassen, ob sie sich winden vor Peinlichkeit, wer den Kopf am höchsten trägt, wem das Genick gebrochen wird ... Doch Linke läßt ihre Mannen zunächst endlos Hechtsprünge machen. Warum sie das tun, ist nicht ersichtlich. Die Choreographin hat's halt so gewollt. Dazu das Pathos eines Trommelwirbels (Musik/Perkussion: Peter Hollinger).

Etwas spannender eine spätere Szene: Einer hat sich ein Kleid angezogen, tänzelt selbstvergessen. Da latschen schon wieder die anderen Staubmäntel herein, schauen zwar nicht her, bleiben aber abrupt stehen. Der Tänzelnde traut sich nicht mehr. Das ist wenigstens eine kleine Geschichte.

Aber sowas macht freilich auch schon jeder Workshop für AnfängerInnen: Einer paßt nicht und wird mit Zwang eingepaßt. So unkonkret wie Linkes Mannen diese Anpassung spielen, geht die Szene nicht über Workshop-Niveau hinaus. Sowas haben wir bei Pina Bausch verdammt genauer gesehen.

Nun macht es sich Susanne Linke natürlich auch sehr schwer: Sie will die Tänzerkörper nicht so spektakulär wie brutal vor den Augen des Publikums beuteln wie Kresnik. Ebensowenig mag sie gesellschaftlich bereits dressierte Puppen auf die Bühne bringen wie Reinhild Hoffmann. Außerdem will sie statt Geschichten lieber Zustände, Gemütslagen zeigen und nutzt dazu nahezu heile, ja geradezu geschichtslose Körper. Das ist spröd. Und das kann schiefgehen. Dann wird's langweilig.

Trotzdem knisterte es bei der Premiere ein paar seltene Male zwischen Tänzern und Publikum. Da zieht einer einen Kronleuchter an der Schnur hinter sich her wie einen Hund. Dazu leises Gläserklingeln. So wie man es sich für Weihnachten immer gewünscht hat (Geräusche: Wolfgang Bley-Borkowski). Doch das Klingeln wird immer lauter, es klingelt, daß einem die Ohren sausen. Dieses Umkippen von Glückseligkeit spürt man, das wird nicht nur behauptet auf der Bühne.

Und nochmal kippelt eine Szene wunderbar: „Sieben acht“, sagt einer, und die anderen fallen in den Rhythmus des Stampfens ein, selig konzentriert und immer schneller, bis auch der Po mitwackeln darf. Da sieht man glückliche Männer, glücklich in ihrem Perfektionismus – und gleichzeitig wirkt das ungemein albern. Schön, wenn sich Tanztheatermenschen trauen, komisch zu sein. Unerträglich dagegen, wenn die Tänzer als wandelnde Tageszeitungen das Publikum malträtieren müssen. Christine Holch