„Heym kann sich bei Kohl bedanken“

■ Interview mit dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse zu seiner Wahl-Niederlage gegen den Schriftsteller Stefan Heym in Mitte/Prenzlauer Berg und zum künftigen Umgang seiner Partei mit der PDS

taz: Herr Thierse, Sie haben in Ihrem Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg gegen Stefan Heym verloren. Gregor Gysi hat den Einzug Heyms in den Bundestag „eine gute Stunde für die Bundesrepublik“ genannt. Das sehen Sie vermutlich ganz anders.

Wolfgang Thierse: Ja.

Wie denn?

Ich neige nicht zu solchen euphorischen Bemerkungen. Ich bin sehr gespannt, welche zahllosen parlamentarischen Aktivitäten – in Ausschüssen und Arbeitsgruppen – Stefan Heym entfalten wird.

Stefan Heym hat rund dreieinhalb Prozent mehr Erststimmen gewonnen als Sie. Was hat Ihrer Meinung nach den Ausschlag dafür gegeben?

Zunächst einmal möchte ich sagen, daß Stefan Heym in Mitte ganz klar gewonnen hat, und ich im Prenzlauer Berg gewonnen habe. Wenn man die Wohngebiete vergleicht, wird man feststellen, daß in Mitte viele Menschen wohnen, die zu den Stützen des Systems in der DDR gezählt haben. Da hat die PDS ein stabiles Wählerpotential, an das die anderen demokratischen Parteien nicht so leicht herankommen.

Dazu kommen ostdeutsche Wähler, die ihre Enttäuschung, ihre Wut, ihren Protest zur PDS getragen haben, und viele junge Menschen sehen ihr Bedürfnis nach Radikalität am besten auch bei dieser Partei aufgehoben.

Der wichtigste Punkt ist jedoch ein anderer. Stefan Heym verdankt seinen Erfolg ganz unmittelbar Helmut Kohl. Die PDS lebt zum einen ganz fundamental von den Fehlern bei der deutschen Vereinigung, und die hat der Bundeskanzler zu verantworten. Zum anderen hat die unsägliche Rote- Socken-Kampagne der Unionsparteien eher zu einem Solidarisierungsprozeß zugunsten der PDS geführt und den Sozialdemokraten geschadet.

Mein Vorschlag: Stefan Heym sollte an Helmut Kohl ein Dankestelegramm schicken.

Das ist alles nicht verkehrt. Dennoch reicht dies allein wohl nicht aus, um den Wahlerfolg der PDS zu erklären. Mal ehrlich: Haben Sie in einer stillen Stunde nicht schon mal das Gefühl, die Ostdeutschen nicht mehr zu verstehen?

Ich denke, daß ich sie schon noch verstehe. Obwohl ich zugebe, daß mich in den letzten Wochen so einiges irritiert hat. Es hat mir nicht nur weh getan, sondern ich war auch sehr erstaunt über so manche Haßausbrüche der PDS-Anhänger gegen mich, auch über die persönlich herabwürdigenden Bemerkungen von Heym und Gysi.

Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten vier Jahren ein antikommunistischer Fanatiker gewesen zu sein. Ich war immer für einen fairen Stil der politischen Auseinandersetzung, ich habe mich immer um politische und menschliche Großzügigkeit bemüht. Das will ich nicht ändern, auch wenn es mir jetzt emotional etwas schwerer fällt.

Aber das interessiert ja Gregor Gysi nicht. Er hat schon recht: In der Politik zählt allein der Erfolg, egal mit welchen Mitteln er erzielt wird.

Sie scheinen enttäuscht und frustriert zu sein.

Natürlich bin ich enttäuscht. Ich bin traurig, daß ich verloren habe. Ich bin doch kein Apparat.

Gegen einen Mythos anzutreten, ist nun mal sehr schwierig.

Sie haben vor der Wahl stets betont, daß Sie – obwohl auf Platz 1 der Berliner SPD-Landesliste – das Direktmandat brauchen, um Ihre Position in Bonn als einziger ostdeutscher SPD-Spitzenpolitiker mit Einfluß zu stärken. Welche Folgen hat Ihre Niederlage? Sind Sie jetzt geschwächt?

Das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sehen.

Der Wiedereinzug der PDS in den Bundestag, die Tatsache, daß die Partei in Ostberlin stärkste politische Kraft ist, wird von vielen als dauerhafte Veränderung des Parteienspektrums analysiert. Hat sich die PDS damit, auch entgegen vieler sozialdemokratischer Vorhersagen, etabliert?

Ich sehe da keine dauerhafte Verschiebung. Es hat sich im Grunde genommen nicht allzuviel verändert. Die PDS gab es bereits, sie hat es, leicht gestärkt, wieder in den Bundestag geschafft. 1,5 Prozent Zuwachs – das ist doch nun wirklich nicht sensationell. Die SPD hat bundesweit drei, in Berlin vier und in Ostdeutschland über sieben Prozent zugelegt.

Die PDS hat sich als ostdeutsche Regionalpartei stabilisiert. Ich habe meine Zweifel, daß sie sich auch gesamtdeutsch etablieren kann. Natürlich wird sie in bestimmter Hinsicht weiter den Lumpensammler spielen – für viele Enttäuschte, Frustrierte, linke Gruppen, K-Gruppen. Sie wird ihre Schwierigkeiten damit haben, ihre Euphorie wird verfliegen.

Aber der Erfolg der PDS hat auch mit ihrer Politik zu tun. Muß sich da die Auseinandersetzung der SPD mit der PDS jetzt nicht ändern?

Das weiß ich nicht. Aus Sicht der Sozialdemokraten behindert die PDS zwar unseren weiteren Aufschwung, aber existenzgefährdend ist diese Partei für Bündnis 90/Die Grünen. Die müssen sich gewaltig was einfallen lassen.

Die SPD will keine hysterische, sondern eine klare, aber sachliche Auseinandersetzung mit der PDS. Wir haben unser bekanntes Programm, und das behalten wir bei.

Haben Sie bei dieser Wahl etwas gelernt, was Sie vorher noch nicht gewußt haben?

Das ist mir alles noch zu frisch. Darüber muß ich erst nachdenken. Interview: Jens König