Linkes Profil wiedergewinnen

■ Hans-Christian Ströbele, gescheiterter Bundestagskandidat von Bündnis 90/Die Grünen, zu den Versäumnissen seiner Partei: Wir haben radikale Positionen ohne Not aufgegeben

taz: Mit dem ersten Direktmandat der Grünen ist es im Wahlbezirk Kreuzberg/Schöneberg trotz eines Zugewinns von 10.000 Stimmen gegenüber der Europawahl vor knapp fünf Monaten nichts geworden.

Hans-Christian Ströbele: Natürlich ist das eine Enttäuschung. Das Ziel ist nicht erreicht, auch wenn das Ergebnis von 28 Prozent das mit Abstand beste ist, das Grüne jemals in Berlin erzielt haben.

Aber insgesamt haben die Grünen wegen des schlechten Abschneidens im Ostteil über vier Prozent gegenüber der Europawahl im Mai 1994 verloren.

Schlecht sind unsere Ergebnisse nicht. Gegenüber der Europawahl haben wir sogar an Stimmen zugelegt. Die bei der Bundestagswahl aber sehr viel höhere Wahlbeteiligung hat dennoch für niedrigere Prozentwerte bei den Bündnisgrünen gesorgt. Man kann jedoch nicht daran vorbeireden, daß im Osten, aber auch in meinem Wahlkreis die PDS ganz erheblich auf Kosten von Bündnis 90/Die Grünen zugelegt hat. Das ist alarmierend. Wenn das so weitergeht, werden bei den Berliner Wahlen in einem Jahr alle Alternativen zur Großen Koalition verbaut.

Nach den Europawahlen haben Sie gefordert, die Partei müsse ihr linkes Profil wieder stärker herausarbeiten. Ist das passiert?

Nein, das war so schnell nicht mehr zu reparieren. Die Grünen haben bundesweit und auch in Berlin ohne jede Not linke und radikale Positionen in Frage gestellt oder aufgegeben. Deswegen gab es einen ganz erheblichen Fluß von Grünen-Wählern zur PDS, weil die Leute offenbar die Illusion haben, dort die von den Grünen geräumten Positionen zu finden. Dabei tut die PDS nur so, als ob sie eine linke Partei wäre und originär linke Positionen verträte. Aber das bleibt unser großes Problem. Da müssen wir Boden gutmachen.

Was heißt das?

Wir dürfen uns nicht davor scheuen, nicht nur einzelne Mißstände beim Namen zu nennen, sondern auch die Zusammenhänge klar zu machen: daß es etwas mit den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen zu tun hat, wenn bestimmte Treuhand-Entscheidungen, etwa bei Narva oder in Bischofferode, so ausfallen wie es geschehen ist. Oder wenn man feststellt, daß 95 Prozent aller privatisierten Betriebe in Ostdeutschland nun in West-Hand sind. Das sind Ergebnisse unserer Wirtschaftsordnung, und das muß man kritisieren.

Die Berliner Bündnisgrünen haben bis zu den Abgeordnetenhauswahlen noch ein Jahr, da etwas zu ändern.

Die Ergebnisse für Berlin sind für uns schon ein erheblicher Fortschritt gegenüber den Wahlen von 1990. Aber unser Ergebnis reicht nicht, hier eine neue Regierungskonstellation, etwa Rot-Grün, möglich zu machen. Wir müssen im nächsten Jahr deutlich machen, daß es hier mit der politischen Lähmung durch die Große Koalition nicht weitergehen kann.

Fängt die Debatte, ob man mit der PDS zusammenarbeiten kann, jetzt erst richtig an?

Ich hoffe nicht. Ich halte nichts davon, wenn man inhaltliche Politik dadurch ersetzt, daß man sich über Koalitionen die Köpfe heiß redet. Wir müssen unsere Position klar machen und bei den Wahlen ein gutes Ergebnis erzielen. Dann werden wir diskutieren, was möglich ist. Wir wissen doch gar nicht, ob die PDS in einem Jahr noch die Partei von heute ist und ein ebensolches Wahlergebnis erzielt. Interview: Gerd Nowakowski