■ Das Portrait
: Marina Sergejewna

Russischer Fernsehstar Foto: taz-Archiv

Nachdenklich sitzt eine Frau vor dem Spiegel. „Marina Sergejewna ist nicht mehr die Jüngste und hat sich die Finger verbrannt!“ erklärt eine Stimme aus dem Off. Während sie ihre mühsam manikürten Wurstfinger betrachtet, wird dem Fernsehzuschauer klar: Das ist nicht wörtlich zu nehmen. Marina muß sich ihre Finger im Umgang mit ihren Mitmenschen „verbrannt“ haben. Aber da gewinnt in ihr eine ungebremste Lust am „Alles oder nichts“ Oberwasser. „Na und wenn ich mich schon verbrannt habe“, flötet sie, „ich geh' jetzt und hol' mir noch ein paar!“ Da triumphiert die Hintergrundstimme: „Aktien, AG MMM.“ – Die AG MMM ist heute so gut wie pleite. Aber ihre Fernsehreklamespots mit dem beliebtesten Helden aller Russen, dem zum Krösus aufsteigenden Bulldozerfahrer Ljonja Golubkow, sind bereits Folklore. Wahre Genialität bewies Regisseur Baxyt Kilibajew, als er zum weiblichen Pendant Ljonjas nicht dessen Gattin erkor, sondern eine „alleinstehende Frau“. Sind es doch die Marinas, dank deren im Lande immerhin einiges funktioniert.

Die Fernseh-Marina wurde von den Unbilden der Wirtschaftsreform schwer gebeutelt. Sie wußte nicht weiter. Da tauchte plötzlich die AG auf. Marina Sergejewna nahm ihr letztes Geld und stürzte zum Hauptbüro von MMM in der Warschauer Chaussee Moskaus. Hier erblickten sie die Zuschauer zum ersten Mal, mit einer verfilzten Mütze auf dem Kopf. Damals verkündete die Stimme aus dem Off: „Sie hat vertraut.“ Dank dieses Vertrauens und beträchtlicher Einnahmen aus MMM-Aktien leistete sie sich nach und nach ondulierte Haare und Glitzerklamotten von den chinesischen Märkten. „Wie glücklich du bist, Marinotschka!“ beneiden sie da ihre Freundinnen.

Seit nun im Hochsommer die Aktiengesellschaft platzte, beweisen die russischen Marina Sergejewnas, daß sie treu sind wie Gold. Mit dem Slogan „Hände weg von Mawrodi!“ forderten sie auf der Warschauer Chaussee die Freilassung der inhaftierten MMM–Chefs. In ihrer agressiven Selbstinfantilisierung gingen sie bis zum Hungerstreik. Ja, was macht es auch schon, daß sie sich die Finger verbrannt haben: Die Marinas verteidigten verbissen das bißchen Glamour, das die Aktien in ihr Leben gebracht haben. Seit dem Wochenende nun hoffen die Marinas noch ein bißchen mehr: Mawrodi kam aus der Haft frei und kandidiert nun für einen Parlamentssitz. Barbara Kerneck