Linien-Streit in der GEW

■ Antrag des Vorsitzenden de Lorent abgelehnt: Keine Verhandlungen mit der Schulbehörde / Statt dessen „Kämpfe und Visionen“ Von Kaija Kutter

Mit Spannung war sie erwartet worden, und niemand wurde enttäuscht: Auf der außerordentlichen Landesvertreterversammlung der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) am Montag abend im Curiohaus ging es hoch her. War doch nach den Schulferien eine Strategiediskussion entbrannt, die die als unbequem bekannte Gewerkschaft vollständig lähmte. Während die Konkurrenzorganisation Deutscher Lehrerverband öffentlich die Sparmaßnahmen kritisierte, war die GEW vollends verstummt.

Ergebnis des Abends, der die 17.000 Mitglieder starke Organisation wieder handlungsfähig machen sollte: Es gibt keine Verhandlungen mit der Schulsenatorin Rosie Raab über neue Arbeitszeitmodelle. Der anderslautende Antrag des GEW-Vorsitzenden Hans Peter de Lorent wurde mit einer deutlichen Mehrheit der rund 400 Deligierten abgeschmettert. Angenommen wurde dagegen ein Antrag der GEW-Sprecherin Anna Ammonn, der im Kern eine Fortsetzung der Proteste gegen die Sparpolitik bedeutet.

Auslöser für den Streit, der nach Insider-Informationen das innergewerkschaftliche Klima vergiftet hat, war ein Artikel in der taz, in dem de Lorent für eine „Schulreform höheren Grades“ warb. Der GEW-Chef damals wörtlich: „Ich bezweifle, ob es Sinn macht, auf Abwehrkampf zu setzen“.

Durch diese öffentliche Äußerung, so kritisierten radikalere Kräfte in der GEW, habe der Vorsitzende das Ergebnis einer Diskussion vorweggenommen und die Realisierung des noch vor den Sommerferien erwogenen Streiks gegen die Arbeitszeitverlängerung unmöglich gemacht.

Doch auf einer Vertrauensleute-Versammlung am 22. September fand der Antrag, de Lorent dafür eine „Mißbilligung“ auszusprechen, keine Mehrheit. Im Gegenteil, eine Umfrage unter den anwesenden Vertrauensleuten brachte zutage, daß an 90 Prozent der Schulen die Streikbereitschaft nicht sehr groß ist.

Für die montägliche Diskssion schien also alles offen. De Lorent beantragte, der Schulbehörde „umgehend Gespräche“ anzubieten, um über die Erprobung und Einführung neuer Arbeitszeitmodelle zu verhandeln. „Primäres Ziel“ sei, die vom Hamburger Senat bereits beschlossene Erhöhung der Pflichstunden zu verhindern und dies durch andere Einsparungen, etwa im Stundenplan, zu kompensieren.

Als Vorbild führt de Lorent das dänische Schulwesen an, das Lehrern nicht die Pflicht-Unterrichtsstunden, sondern die Gesamtjahresarbeitszeit anrechnet. Bremens SPD-Schulsenator Henning Scherf hatte der dortigen GEW angeboten, gemeinsam ein solches Arbeitszeitsmodell zu erarbeiten, das nicht mehr nach der 45minütigen Unterrichtsstunde ausgerichtet wird, sondern grundsätzlich von einer 38,5 Stunden Woche für Lehrer ausgeht, die übers Jahr verrechnet werden soll.

Voraussetzung für Gespräche, so de Lorent in seinem Papier, sei aber, diese „auf der Grundlage des durch die Bürgerschaft festgelegten Lehrerstellenplans zu führen“. Ein Satz, der am Montag abend heftig kritisiert wurde, bedeutet er doch unterm Strich die Akzeptanz der Einsparung von 1000 Lehrerstellen bis zum Jahr 1997.

„De Lorent bietet an, dem Senat den größten Stein aus dem Weg zu räumen“, sagte Anna Ammonn, die in ihrem Antrag Gespräche auf der Basis der Sparmaßnahmen ausdrücklich ablehnte und dafür warb, zu „kämpfen und Visionen zu entwickeln“. Ammonn: „Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wir müssen inhaltliche Reformen diskutieren und Kampfkraft zeigen.“ Replik von de Lorent: „Wir dürfen uns nicht besoffen reden.“ Kein Bürgerschaftsabgeordneter und keine Schwestergewerkschaft sei für diesen Kampf zu gewinnen.

Doch Anna Ammonn war mit ihrer Haltung nicht allein, drei von vier Rednern brachten ihre Verwunderung über den „Schwenk“ des Vorsitzenden zum Ausdruck, zwei von drei stimmten gegen ihn.

„Ich fühle mich infrage gestellt“, sagte de Lorent gestern zur taz. „Aber ich werde in der GEW weiter für den konstruktiven Weg werben.“

„Wir sind wieder handlungsfähig“, konstatierte dagegen Anna Ammonn. Ihr Antrag enthielt auch einen Passus für den nächsten „Kampfarbeitstag“ auf der Straße: Vor den Haushaltsberatungen des Senats im Dezember.