Zuflucht bei den Stones

■ „Exile and mainstream“ - Kunst im Schlachthof setzt auf Irritation: unscharfe Fotos und fremdsprachige Reden - ohne Übersetzung

Auf dem Boden liegt eine meterlange Reihe Papierfotos, Standardformat 9 x 13. Ein „Fotofries“, wie der Künstler es nennt. Lauter unscharfe Repros. Sie zeigen Ausschnitte aus dem Cover der Rolling Stones-Platte „Exile on mainstreet“. Anlaß und Ort: Die siebte und letzte Ausstellung der Schlachthof-Reihe „Exile and mainstream“.

Man stutzt. Hat der Künstler hier ein asszoziatives Mißverständnis produziert? Exil auf der Hauptstraße, statt Exil und Hauptstrom? Jagger statt Beuys? Nicht nur. Denn das verfremdete Stones-Zitat ist als Rekurs auf die massenmediale Vermarktung der Pop-Ikonen zu verstehen. An ihr übt Reinhard Brunner im Gewand amateurhafter Alltagsknipserei eine Kritik, über deren Leichtfüßigkeit man unbemerkt hinwegstolperte, lägen da nicht drei großflächige, wie Grabplatten schräg aus dem Boden ragende Malereien auf der gegenüberliegenden Seite des Galerieraumes. Abbildungen des gleichen Sujets, jedoch bis zur Unkenntlichkeit vergrößert. Die Malerei mit ihren transparenten Schichten aus Acrylfarbe zeigt sich als abgedrängter Anachronismus. Ist künstlerische Exilsituation im Vergleich zum mainstream der Fotografie. Ein nicht unspannender Kontrast, freilich etwas brav in seiner Wirkung. Eine Art alternative Avantgarde – wenn es das geben kann.

Daß die letzte Entschlossenheit fehlt, mag daran liegen, daß auch dieser Künstler – wie alle anderen in der Reihe zuvor – sich an dem modischen Genre „Installation“ versucht. Doch leider zeigt sich hinter diesem Begriff eben oft eine kaum zu versteckende Verlegenheit und seltener die Konsequenz eines Hermann Stuzmann, der im Sommer bei „Exile and mainstream“ an der Reihe war. Der nämlich hatte seinerzeit einfach die Fenster der Galerie mit Brettern vernagelt, durch deren schmale Ritzen nur noch ein Restlicht drang – nichts weiter. So schafft man schon eher Räume für die Reflexion in den Köpfen der Betrachter. Oder wie Marikke Heinz-Hoek, Christian Meyer und Jens Werner, die in ihrer Videoinstallation das Publikum auf die Bühne der Kesselhalle lotsten und mit Monitoren im Zuschauerraum konfrontierten, in denen es sich selber sah.

A propos Konfrontation: Diese war durchgängig bei den Vernissagen zu finden. Denn jede der Ausstellungen wurde mit einer fremdsprachigen Rede eröffnet. Ohne Übersetzung, „um das Publikum ganz direkt jener Fremdheit auszusetzen, die mit dem Thema Exil intendiert war“, wie Initiatorin Dodo Richter-Glück erklärt. Was durchaus als politischer Akt gemeint war, und nicht als Kritik am dem unverständlichen, kunstwissenschaftlichen Jargon, unter dem man sonst bei solchen Gelegenheiten zu leiden hat.

Daß es der Ausstellungsmacherin mit dieser Serie gelungen ist, künstlerische Ansprüche mit politischem Bewußtsein zu verbinden (wie schon früher in ihrer Reihe „Feldforschung Hausfrauenkunst“), nimmt man ihr noch ab. Denn zumindest die erwähnte Installation von Hermann Stuzmann und das Container-Projekt von Jorinde Rühaak und Tinte Gerstner, in dem die Asylproblematik direkten Ausdruck fand, waren politische Kunst. Ob dabei aber von einer Reihe, und nicht nur von einer etwas wahllosen Aneinanderreihung gesprochen werden kann, erscheint eher zweifelhaft. Vielleicht liegt hierin der wahre Grund, daß Dodo Richter-Glück ein derartiges Konzept vorerst nicht weiter zu verfolgen gedenkt – auch wenn sie selber dies nur mit organisatorischen und finanziellen Problemen begründet.

Moritz Wecker

„Exile and mainstream“ endet mit einer Finissage am 6. 11r, 12 Uhr. dann erscheint ein Katalog.

Moritz Wecker