„Ein religiöser Sozialist“

■ Gedenkveranstaltung in der Bürgerschaft zum 50. Todestag von Adolf Reichwein

Heute sind es genau 50 Jahre her, da wurde in Berlin-Plötzensee Adolf Reichwein hingerichtet. Er war einer der Aufständischen des 20 Juli gewesen. Ein Pädagoge, der in Vergessenheit geraten ist. Mit dem Widerstand gegen Hitler werden hauptsächlich die Kreise um Stauffenberg, also aus dem Militär verbunden. Adolf Reichweins Widerstand wurzelte dagegen in seiner pädogogischen Arbeit. „Was die Hand geschaffen hat, begreift der Kopf um so leichter“, das war Adolf Reichweins pädagogischer Grundsatz. Aber ohne Politik gehe eben auch in der Reformpädagogik nichts. Erst in diesem Jahr, 50 Jahre nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Adolf Reichwein ,wiederentdeckt'. Anläßlich seines 50. Todestages wurde in Bremen bereits am 5. Oktober eine Ausstellung über sein Leben und seine Arbeit im Bürgerzentrum Vahr eröffnet. Gestern endete die Bremer Veranstaltungsreihe zu seinem Gedenken mit der „Erinnerung an Adolf Reichwein“ im Haus der Bürgerschaft.

Eingeladen waren neben Hans Jochen Vogel auch zwei der Kinder Reichweins. Eröffnet wurde die Veranstaltung unter anderem mit dem ,Moorsoldatenlied' und einem Lied über das Lernen: „2 und 2 ist vier, vier und vier ist acht - ,Wiederholen'! sagt der Lehrer“. Damit war der Reformpädagoge und Widerstandskämpfer gut getroffen. „Aufrechte Menschen wie Adolf Reichwein dürfen gerade in dieser Zeit des sich verstärkenden Rassismus nicht in Vergessenheit geraten“, sagte Hans Jochen Vogel. Ein „religiöser Sozialist“ sei er gewesen. Reichwein gehörte von 1930 bis 1933 der SPD an. Bei der Machtübernahme der Nazis 1933 verlor er seinen Lehrstuhl an der Pädagogischen Akademie in Halle. Auch für ihn stellte sich die Frage, ob er emigrieren oder in Deutschland bleiben solle. Er blieb und wurde Dorfschullehrer in Tiefensee, einem 300-Seelen-Ort in Brandenburg. Vogel: „Er hatte sich so entschieden, weil er dachte, den Nazis in Deutschland widerstehen zu können.“

Während seiner Tätigkeit als Dorfschullehrer konnte Reichwein seine reformpädagogischen Ideen direkt in die Praxis umsetzen, erzählte der Jenaer Pädagogikprofessor Will Lütgert. So teilte Reichwein die Tiefenseer Schule nicht in Jahrgangsklassen, sondern in themenbezogene Arbeitsgruppen ein, denen Kinder verschiedenen Alters angehörten. Heute heißt das Projektunterricht. Die SchülerInnen sollten möglichst praxisbezogen lernen und dabei ein gemeinsames Ergebnis produzieren.

Lernen durch Selbermachen, das sei auch die Devise Reichweins im Umgang mit dem damals neuen Medium Film gewesen. Reichweins pädagogisches Ziel war es, die Autonomie der SchülerInnen und ihre Fähigkeit, in Gruppen zu arbeiten gleichermaßen zu fördern. 1939 ging Reichwein nach Berlin und wurde dort Leiter der Abteilung ,Schule und Museum' im Museum für Volkskunde. Diese Dienststelle nutze er für Treffen oppositioneller Kräfte, zum großen Teil Sozialdemokraten. Über Helmuth James Graf von Moltke kam er Anfang der 40er Jahre zum ,Kreisauer Kreis'.

Die ,Kreisauer' hielten Kontakt zu der Gruppe um Stauffenberg, beschäftigten sich aber stärker mit der Frage, wie es nach einem erfolgreichen Attentat auf Hitler weitergehen könne. Adolf Reichwein formulierte dabei maßgeblich das pädagogische und bildungspolitische Programm. Er soll sogar als Kultusminister für eine demokratische Regierung nach dem Sturz der Nazis im Gespräch gewesen sein, sagte Hans-Jochen Vogel. Zusammen mit Julius Leber nahm Adolf Reichwein auch Kontakte zu Kommunisten auf, um die verschiedenen Gruppen der Widerstandskämpfer zu vernetzen. Bei einem solchen Treffen wurden Reichwein und Leber von einem Spitzel verraten und verhaftet. Diese Verhaftungen waren auch ein Grund dafür, die Vorbereitungen für das Hitler-Attentat zu beschleunigen: Den Aufständischen war klar, daß die Verhafteten unter dem Nazi-Regime keine Überlebenschancen hatten. keg