Sanssouci
: Vorschlag

■ Blues-Historiker Jeffrey Lee Pierce auf Vortragsreise im Knaack

Der gute Mann hatte alle auf die falsche Fährte geführt. Der Gun Club eröffnete seine Suche und Aufarbeitung der nordamerikanischen Musikgeschichte zwar mit „The Fire of Love“, einem Album, das den Blues so spielte, wie man ihn so und nicht anders spielen müßte im Jahre 1981, im Jahre fünf nach Punkrock. Aber danach ging die Band weiter, über Country zum Rock'n'Roll und beschäftigt sich seitdem mit der Verwaltung des angehäuften Gun- Club-Wissens. Der Chef selbst, Jeffrey Lee Pierce, aber hatte eigentlich die Wurzeln nie verlassen und sammelte sich – wenn er nicht gerade mit Umbesetzungen oder Drogen- und Alkoholexzessen beschäftigt war – ganz heimlich, still und leise eine veritable Kollektion allerfeinster Bluesplatten zusammen. Dort fand er Trost, vielleicht sogar Seelenverwandtschaft.

1992 schließlich outete sich Pierce als Blues-Addict und -Fachmann, wechselte in uralter Bluestradition die Identität, und es entstand „Ramblin' Jeffrey Lee & Cypress Grove with Willie Love“. Zwischen neun Klassikern und völlig in Vergessenheit geratenen Altstücken versteckte Pierce schüchtern zwei Eigenkompositionen. Und alle interpretiert Pierce in geradezu selbstvergessenem Respekt, er poliert nur ganz behutsam die Patina. Alles meilenweit entfernt vom glatten Kunsthandwerk moderner Blueser. Es geht eben nicht um sein Ego, um seine Vokalakrobatik, sondern darum, die Wurzel des Rock 'n' Roll aus den Klauen von Eric Clapton, Gary Moore und Konsorten zu retten. Ehre, wem Ehre gebürt, auch wenn die meisten der Geehrten längst verschieden sind. Viele mögen es bedauern, daß Pierce das Modernisieren inzwischen endgültig anderen überlassen und sich und den Gun Club aufs Altenteil zurückgezogen hat. Aber dafür hat er die Rolle des Historikers eingenommen, und die füllt er mindestens genausogut aus.

Wie ernst er seine Aufgabe dabei nimmt, zeigt der Bogen, den Pierce schlägt. Ob nun lüsternen Chicago-, luftigen Country- oder schwülen Delta-Blues, Pierce lieferte als Ramblin' Jeffrey Lee eine kleine Doktorarbeit ab. Die Professur schon längst in der Tasche, kommt er nun auf Vorlesungsreise (mit Demonstrationen und Beispielen aus der Praxis). Es gibt nicht allzu viele Heroen jenes Aufbruchs am Ende der 70er Jahre, die es geschafft haben, in Würde zu altern. Vielleicht hat sich Pierce ja mit dem Blues die einfachste Methode ausgesucht, die ersten grauen Haare zu verdauen, aber halt auch eine der elegantesten. Und sowieso und überhaupt ist es immer wieder schön, ihn alle Jahre wieder lebendig und halbwegs gesund zu sehen. Denn danach sah es eine ganze Weile ganz und gar nicht aus. Thomas Winkler

Heute, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg.