Politischer Eiertanz mit Stolpe

Das Ei des Kunzelmann: Warum die Landeskasse die Prozeßkosten tragen muß und Stolpe schon in der DDR ein Faible für Eierwürfe hatte  ■ Von Barbara Bollwahn

Die Rechnung des Altkommunarden Dieter Kunzelmann ist aufgegangen. Ganz zu seinem Entzücken war die Staatsanwaltschaft dem ehemaligen AL-Abgeordneten wieder einmal auf die sorgsam gelegte Politleimspur gegangen, die am Dienstag nach über fast zwei Jahren mit einem Freispruch endete. In dem Prozeß wegen Landfriedensbruchs und versuchter Nötigung vor dem Amtsgericht Tiergarten nutzte der Staatsanwalt die Gelegenheit, um mit allem gebotenen Ernst gegen den bekennenden Eierwerfer vorzugehen.

Kunzelmann zog es vor, die Präsenz eines imaginären Fanpublikums zu genießen und sich nicht zu den Vorwürfen zu äußern. Mit Genugtuung lauschte er seinem Anwalt Hans-Joachim Ehrig, der aus Kunzelmanns Schreiben zitierte, in dem sich dieser selbst bezichtigt hatte, bei der Abschlußkundgebung der Demonstration „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ am 9. November 1992 ein Ei auf den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe geworfen zu haben. „Mit tiefer innerer Überzeugung“ habe er mit der „linken Wurfhand“ (die rechte konnte aus weltanschaulichen Gründen nicht als Tathand herhalten) ein „märkisches Frischei der Güteklasse I“ auf die Flugbahn gen „IM Stolpe“ geschickt.

Um zu beweisen, daß es Kunzelmann mit seinem Schreiben darum ging, Justitia auf den Arm zu nehmen, wurde der Alt-68er, Ex-Maoist und taz-Redakteur Christian Semler als Zeuge bemüht, um den Mythos seines temporären Weggefährten zu erklären. Ausgerüstet mit einem Köfferchen „Beweismaterial“ und einem Marx-Zitat („Man muß die steinernen Verhältnisse zum Tanzen bringen“) dozierte er über die Kunzelmannschen Politspektakel als „Herausforderung der Staatsgewalt“ und die „Selbstanzeige als Stilmittel der Entmystifizierungsstrategie“. Im übrigen sei die „Balance zwischen spielerischen und schwerwiegenden politischen Tatbeständen“ stets gewahrt geblieben.

Doch dieser Aufklärungsdiskurs stieß bei Staatsanwalt Rüdiger Eggebrecht, der nach dem Bezichtigungsschreiben nicht nur Anklage erhoben hatte, sondern auch den Generalbundesanwalt zum Eiermann machen wollte und als zweiter Zeuge geladen war, auf taube Ohren. Er wollte nicht wahrhaben, daß er nach allen Regeln der Politsatire auf die Schippe genommen worden war. „Die Geschichte war für mich glaubhaft“, meinte er auch noch nach der durchaus erheiternden Satire-Lektion durch Amtsrichter Fischer. Im übrigen reiße sich niemand am Gericht darum, an Verfahren gegen Kunzelmann beteiligt zu sein.

Als wollte Kunzelmann beweisen, warum das so ist, zauberte er ein Schreiben Manfred Stolpes von 1987 aus dem Ärmel, in dem sich dieser lobend über einen Eierwurf äußert. Der damalige Konsistorialpräsident bedankt sich bei Joachim Herrmann, Agitprop-Sekretär des Zentralkomitees der SED, in der ihm innewohnenden warmen Art für die „wohlwollende“ Berichterstattung über den Evangelischen Kirchentag in Berlin. Diese Art der „Informationspolitik“ sei wichtig, weil westliche Medien versuchten, „unter Mißbrauch des Kirchentages die Reihe von Provokationen gegen die DDR fortzusetzen“. In ganz persönlicher Weiterführung der von ihm gelobten Info-Politik erstattete er dem Politbüro Meldung darüber, daß er mit eigenen Augen gesehen habe, wie ein ARD-Korrespondent zu nächtlicher Stunde versucht habe, „christliche Jugendliche zu Aussagen über Vorgänge zu Pfingsten am Brandenburger Tor zu provozieren“ und diese — ganz zu seiner Freude — ein Ei auf den medialen Klassenfeind geworfen hätten.

Ohne zu klären, um welche Güteklasse es sich bei dem von Stolpe gesichteten Ei handelte und mit welcher Wurfhand es abgegeben wurde, wurde der Antrag, Stolpe als Zeugen zu laden, kurzerhand abgelehnt. Ein Ei gleicht eben doch nicht dem andern. Der Staatsanwalt, für den die fast leeren Besucherbänke genug Indiz für die überholte Bedeutung Kunzelmanns als Aktionskünstler waren, wollte ihn wegen versuchter Nötigung zu 50 Tagessätzen à 50 Mark vereidottern. Amtsrichter Fischer dagegen, ganz Fachmann in politischer Eierkunde, sprach Kunzelmann frei. Die Rechnung, die bei Kunzelmann aufgegangen ist, hat nun die Landeskasse zu begleichen.