In Komik verschieden

„Die Alphabeten“ von Matthias Zschokke: Deutsche Erstaufführung einer Literaturbetriebs-Farce in den Kammerspielen des Deutschen Theaters – Langhoff himself hat's inszeniert  ■ Von Petra Kohse

Die Überraschung des Abends war Claudia Geisler. Wie sie mit der anämischen Rolle der Susanna in Matthias Zschokkes „Alphabeten“ fertig wird, ist tatsächlich eine Leistung. Denn diese Figur ist eine Schwachstelle im sonst ja recht witzigen Stück: Unsichere und mäßig geistreiche Jungliteratin wird preisgekrönt, kann aber mit dem Kunstgetriebe und all seinen eitlen Rädchen nichts anfangen, sucht das wahre Leben und landet auf dem Jahrmarkt.

Zschokke, der mit diesem Stück von 1990 selbst wieder mal zum Preisträger wurde und 1992 den Gerhart-Hauptmann-Preis der Freien Volksbühne erhielt, hat seiner Zunft mit der Figur der Susanna ein ziemlich larmoyantes Bühnen-Denkmal gesetzt. Aber Claudia Geisler kann das spielen und zieht noch einige Komik daraus. Sie zeigt einen latent genervten Blaustrumpf, ein stilles Wasser, das sich seiner eigenen Untiefe durchaus bewußt ist. Geislers Susanna zweifelt in erster Linie nicht am Menschsein, sondern berechtigterweise an ihrem Talent. Das erst schafft die notwendige Distanz, das erst macht „Die Alphabeten“ zur Farce.

Denn mit dem Jurypräsidenten, der an der Ignoranz seiner Preisträgerin letztlich zerbricht, oder der spätjüngferlichen Kommissarin, die die Poesie „am liebsten gereimt“ mag und Vorträge über die eigene Mittelmäßigkeit hält, karikiert Zschokke die Trittbrettfahrer des Literaturbetriebs – die Gattung der Alphabeten – sehr schön. Aber solange sich die Jungliteratin, die Hoffnungsträgerin dieser Phrasengesellschaft, durch Grübelei und nicht aus Unvermögen entzieht, bleibt ein unangenehm eitler Beigeschmack, weil der Schriftsteller Zschokke seinen Finger nur auf die anderen, die Nicht-Schriftsteller richtet.

Zschokke ist mit 40 Jahren nicht mehr jung, und „Die Alphabeten“ sind nicht das erste Stück des in Berlin lebenden Autors. 1991 erhielt er für einen Roman, „Max“, sogar den Robert-Walser-Preis. Insofern war es zwar nicht selbstverständlich, aber weder ein Wagnis noch beherzte Nachwuchsförderung, sein Stück knapp drei Wochen nach der Uraufführung in Bern auf den Spielplan der Kammerspiele zu setzen. Da paßt es sehr gut hin, zwischen „Herr Paul“ von Tankred Dorst und David Mamets „Oleanna“ – ein Trio zeitgenössischer Gebrauchsdramatik, versiert und eingängig in der Form, angemessen kritisch im Thema.

„Die Alphabeten“ sind eine Mischung aus Gesellschaftsskizze und Stationendrama. Die Figuren sind ebenso hastig und sprachgebläht sprachlos wie etwa in Botho Strauß' „Trilogie des Wiedersehens“, wenn auch weniger böse gezeichnet. Und der Schauplatz wechselt zwischen Großstadtmoloch und den Beletagen des Intellektualismus wie im Straußschen „Gleichgewicht“. Die mystische Komponente fehlt bei Zschokke zum Glück. Er hat eher einen Hang zu absurden Elementen, mit Zwischenspielen auf einer Wolke etwa, auf der eine Sehnsuchtskitschfigur der satten und leeren Gesellschaft, ein Verbrecher, vorbeisegelt – der ironischerweise noch viel kleinbürgerlicher ist als alle anderen zusammen.

Ursprünglich sollte Rolf Winkelgrund das inszenieren. Aber er hat die Arbeit abgebrochen, und der Intendant selbst ist eingesprungen. Thomas Langhoff kann wundervoll inszenieren, und Christine Schorn als Kommissarin oder Christian Grashof als Jurypräsident Dr. Seet können sehr komisch spielen. Das ist sowieso klar. Verwunderlich nur, daß es sich Langhoff und Grashof entgehen ließen, im verzweifelten Bemühen Seets um Susanna auch die erotischen Hintergedanken deutlich zu zeigen. Außer einem gierigen Blick am Anfang bleibt es hier eher beim vordergründigen Vater-Tochter- Verhältnis.

Wirklich gelungen ist Zschokke die Figur des Jungen Mannes. Während Susanna darüber jammert, daß mit Literatur kein Geld zu verdienen ist, bringt er flott und einfallsreich seine Schäfchen ins Trockene, verdingt sich als Winkelementschwenker, als Jahrmarktshansel, und erklimmt dann selbstbewußt ebenfalls die Preisträgerkanzel, wo er verspricht, immer preiswerter zu werden. Thomas Dannemann spielt das allzu jung, mit etlichen Gesten zuviel, aber doch überzeugend als Intellektuellenyuppie.

Eine der letzten Szenen ist die schönste. Im Barocksaal eines Sanatoriums, den Henning Schaller mit einem goldgewirkten Brokat- Wandteppich erlesen andeutet, sitzt Grashof ausgemergelt, mit unglücklichem Gesicht und stumm hinter einem imposanten Büfett, während Franziska Hayner als dralle und grell geschminkte Schwester auf ihn einschnattert und Susanna ihn anschreit: „Ich bin nicht schuld an Ihnen“. Irgendwann sinkt er dann einfach vornüber. Kein trauriger Tod, sondern ein Moment der Erlösung, der Erkenntnis. In Komik verschieden.

Nächste Vorstellungen am 23.10. und 1.11., 19.30 Uhr, DT-Kammerspiele, Schumannstraße 13a, Mitte.