Vom Sexismus geküßt

■ betr.: „Die letzten Tage der MS Schwaetzer“, taz vom 8.10.94

So, so, in adretter Länge also trägt sie den Rock, die Bundesbauministerin. Wie interessant! Und die Garderobe „kaschiert die Körperformen mehr als sie zu betonen“? Wie strafwürdig! Die Knie hat sie fest durchgedrückt? Wer hätte das gedacht! Und sie steht wie eine Eins? Wahrscheinlich ist wieder die Mutter schuld, die ihr immer gesagt hat, sie solle sich gerade halten! Das make up ist kaum sichtbar? Ob das zu rügen ist, hätte ich auch gern gewußt, wird aber nicht gesagt.

„Von der ehrgeizigen Nase bis zum Schuh sendet Frau Ministerin eine Botschaft: Ich lasse mich nicht unterkriegen.“ So weit kann es also kommen!

Und was ist für die „taffe Karrierefrau“ wie angeblich für 90 Prozent der Bonner Politikerinnen der Schlüssel zum Erfolg? Verstand, Intellekt, Tüchtigkeit? Nicht bei Frauen! Bei diesen führt – laut taz – die „unterdrückte Weiblichkeit“ zum Erfolg. Was immer das sein mag. Das kleine Irmchen, schreibt die taz, küßte und küßte den Frosch, doch der gewünschte Effekt blieb aus. Da ihr „männlich geprägter Ehrgeiz sie die Macht der Männer fahrlässig unterschätzen läßt“. Nicht einmal eine Hausmacht nennt sie ihr eigen. Welche Frau hat das schon in dieser Welt der Männerbünde.

Sie ist eine steife Frau, schreibt die taz, und hat einen angewiderten Zug um den Mund. Wie unangebracht! Wo sie doch umgeben ist von all den sich tänzerisch bewegenden Abgeordneten mit der richtigen Hosenlänge und den knackigen Ärschen, die ihre tollen Körperformen und ihre erotische Ausstrahlung durch ein eng anliegendes Jackett betonen, keine taffen Karrieremänner sind und niemals irgend einen Zug um den Mund haben. Zu allem Überfluß wurde sie auch noch von einem Finanzbeamten geboren. Da wundert mich nichts mehr.

Der männliche Blick auf Frauen ist auf den Rock gerichtet, auf die Knie, die Garderobe, das make up, den Mund. Und so brauchen sie ihnen nicht mehr zuzuhören. Daß dieser sexistische Blick auf eine Ministerin nicht von einem Mann, sondern von einer Autorin stammt, die den männlichen Sexismus verinnerlicht hat, macht diesen frauen-diffamierenden Artikel besonders anstößig. Sandra Holler, Hamburg