■ Der Anschlag in Tel Aviv zeigt, daß die Kassem-Brigade an jedem Ort und zu jeder Zeit zuschlagen kann
: Nun ist Hamas gefordert

Izzedin Al-Kassem ist der Name eines politischen Führers palästinensisch-syrischer Herkunft, der in den dreißiger Jahren eine ideolologische Mischung aus radikalem Islam und arabischem Nationalismus vertrat und einen „heiligen Krieg“ gegen die Briten und jüdische Zionisten propagierte. Im Jahre 1935 kam er bei einem bewaffneten Zusammenstoß mit britischen Soldaten ums Leben. Izzedin Al-Kassem ist auch der Name des militärischen Flügels der palästinensischen Hamas-Bewegung, der sich zu der jüngsten Entführung des israelischen Soldaten Wachsman und mehreren Anschlägen in der letzten Zeit bekannte, darunter auch zu dem gestrigen mörderischen Bombenanschlag auf einen vollbesetzten Bus in der Innenstadt von Tel Aviv.

Während Israel sich auf den Besuch von US-Präsident Bill Clinton und die feierliche Unterzeichung des Friedensabkommens mit Jordanien vorbereitet, demonstriert die Izzedin-Al-Kassem-Brigade erneut, daß sie jederzeit und an jedem Ort zuschlagen kann. Die teilweise ausgesprochen raffinierte Art der Vorbereitung der Anschläge, die sich zunehmend auch gegen israelische Sicherheitskräfte richten, die Art der Bewaffnung und die offensichtliche Abschottung gegenüber Infiltrationsversuchen zeigen den hohen Organisationsgrad der Attentäter, deren aktiver Kern auf einige Dutzend Personen geschätzt wird. Die Zeiten, wo jüdische Passanten mit Messern attackiert wurden, sind vorbei.

Mit dem israelisch-jordanischen Abkommen selbst dürfte der Busanschlag in Tel Aviv jedoch kaum in Zusammenhang stehen. Die Kassem-Brigade folgt vielmehr ihrer eigenen mörderischen Logik, die derzeit – wie mehrfach angekündigt – im Kontext des Massakers von Hebron zu sehen ist, bei dem ein israelischer Siedler am 25. Februar 29 Palästinenser in einer Moschee tötete. Hinzu dürfte die mißglückte israelische Militäraktion zur Befreiungs Wachsmans kommen, bei der am vergangenen Freitag der Entführte, ein weiterer israelischer Soldat und eben auch drei Kidnapper der Kassem-Brigade ums Leben kamen.

Auswirkungen auf den Friedensprozeß hatte der jüngste Anschlag der „Feinde des Friedens“ (Rabin) zunächst nicht; die israelisch-palästinensischen Verhandlungen in Kairo gingen gestern ohne Unterbrechung weiter. Allerdings ist mit Folgen im Innern, in der israelischen und vor allem auch in der palästinensischen Gesellschaft zu rechnen. In Israel wird die Frage aufgeworfen werden, warum die Sicherheitskräfte beim Bekämpfen der Kassem-Brigade – mehrere Attentäter kamen aus der besetzten Westbank – versagen und wie hoch der Preis an Menschenleben für den Frieden noch werden soll.

Der Druck auf die palästinensische Regierungsbehörde wird noch zunehmen, mit den radikalen Teilen der Hamas-Bewegung „fertig“ zu werden. Dies wird die Position von Jassir Arafat, dem Gesprächspartner Israels, weiter schwächen. Da sich die Verhandlungen dahinschleppen und die PLO-Führung der Bevölkerung nichts bieten kann, erscheint diese nicht nur in den Augen von Hamas-Anhängern als „Handlanger Israels“, wenn beispielsweise massenhaft Palästinenser festgenommen werden.

Für Hamas steht nach dem gestrigen Anschlag nun um so dringlicher die Klärung des Verhältnisses zu der neuen palästinensischen Autorität und damit auch zum Staat Israel und der Kassem-Brigade an. Ideologisch postuliert die islamistische Bewegung in ihrer der palästinensischen Befreiungsorganisation nachempfundenen Charta, daß der Boden ganz Palästinas „heiliges muslimisches Eigentum“ ist, das somit keinen Raum für den jüdischen Staat läßt. Hamas, kurz nach Beginn der Intifada Anfang Dezember 1987 gegründet, steht damit, anders als der Namensgeber ihres bewaffneten Arms, auch in einem Gegensatz zu der eher nationalistisch ausgerichteten PLO, die zudem inzwischen ihren Frieden mit Israel gemacht und eine begrenzte Autonomie auf sechs Prozent der besetzten palästinensischen Gebiete (ohne Israel) akzeptiert hat.

Die Möglichkeit einer Beteiligung an palästinensischen Wahlen – darüber wird in Kairo gerade verhandelt – könnte diesen Klärungsprozeß innerhalb der islamistischen Bewegung unter Umständen positiv beeinflussen. Nur politische Signale und wirkliche Fortschritte, die dann auch spürbare Verbesserungen für die Bevölkerung nach sich ziehen, werden langfristig dazu führen, daß die Bereitschaft sinkt, Gewalt anzuwenden oder dies zu begrüßen. Beate Seel