Journalistenstreik gegen Mordwelle

Sechs algerische Tageszeitungen stellen ihr Erscheinen für drei Tage ein / JournalistInnen sind Zielscheibe von Attentaten der „Bewaffneten Islamischen Gruppe“ geworden  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die ersten Drohbriefe und nächtlichen Anrufe kamen vor vier Jahren. Islamisten beschuldigten Malika Boussouf der Lästerei und kündigten ihr die „Rache Gottes“ an. Damals reichte die Phantasie der algerischen Rundfunkjournalistin nicht aus, sich auzumalen, was noch kommen würde. Inzwischen bestimmt die Angst vor Attentaten den Alltag von JournalistInnen in Algerien. „Heute hoffen wir“, sagte Malika Boussouf am vergangenen Wochenende bei einem Besuch in Paris, „daß wir wenigstens erschossen und nicht erwürgt werden.“

Mindestens 19 JournalistInnen sind seit Mai 1993 in Algerien ermordet worden – andere Quellen sprechen von 22 Toten. Letztes Opfer war am Sonntag der Rundfunkjournalist Tayeb Bouterfif, der in einem südlichen Vorort der Hauptstadt Algier erschossen wurde. Er arbeitete für die arabischsprachige Sendung der Auslandsredaktion des staatlichen Radios. Seit gestern befinden sich wegen dieser Gewaltwelle sechs große Zeitungen des Landes im Streik. Drei Tage lang werden die französischsprachigen Blätter El Watan, Le Soir d'Algerie, Le Matin, Liberté und Opinion sowie die arabischsprachige El Khabar nicht gedruckt. Gemeinsam beschlossen Verleger und Journalisten diese Aktion gegen das „Drama, dem die algerischen Journalisten ebenso unterworfen sind wie all jene, die täglich zur Zielscheibe des Faschismus und religiösen Fanatismus werden“, wie sie in einem gemeinsamen Kommuniqué zum Streik erklärten.

Die staatlichen Medien, die algerische Nachrichtenagentur „APS“ und zahlreiche kleinere unabhängige Zeitungen arbeiten auch während des Streiks weiter. Manche von ihnen solidarisieren sich auf symbolische Art mit ihren KollegInnen im Ausstand. So blieb in der Zeitung Al Mudjahid gestern eine ganze Seite weiß.

200 algerische JournalistInnen haben das Land verlassen. Auch die meisten ausländischen KorrespondentInnen sind vor dem Terror geflohen. Wer geblieben ist, lebt mit der Angst. „Wir haben keine gepanzerten Fahrzeuge“, sagt Malika Boussouf. „Wir machen uns jeden Morgen mit der Vorstellung auf den Weg zur Arbeit, daß es unser letzter Tag sein könnte.“

„Wir versuchen, sowenig wie möglich im Büro zu sein“, erklärt ein Journalist von Le Matin. In Algerien leben JournalistInnen als Verfolgte. Sie wechseln ständig ihren Wohnort, suchen neue Schleichwege und leben von ihrer Familie getrennt. Ein paar als besonders gefährdet eingestufte JournalistInnen sind in dem Villenviertel „Club des Pins“ bei Algier am Mittelmeer untergebracht. Sicherheitskräfte bewachen sie rund um die Uhr.

Verantwortlich für die Attentate ist die „Islamische Bewaffnete Gruppe“ (GIA), nach deren Ansicht die JournalistInnen eng mit der algerischen Führung zusammenarbeiten. Ungeniert gibt sie Mordaufträge aus. Mehrfach schon wurden bei in Gefechten mit der Armee getöteten militanten Islamisten Fotos von JournalistInnen gefunden. Für die Betroffenen ist damit der Moment zum Abtauchen gekommen. Zu konsequent verfolgt die durch und durch intellektuellenfeindliche GIA ihr Motto: „Wer uns mit der Feder bekämpft, wird durch die Klinge sterben.“