■ Kommentar
: Kirchliche Sünder

Was würden Sie von einem Arbeitsvertrag halten, in dem ausdrücklich betont wird, daß Sie das Silberbesteck ihres Chefs nicht klauen dürfen? Genau: Das wissen Sie auch so – und wenn Sie die Gabeln haben wollten, mopsten Sie sie trotzdem.

Ähnlich dürfte es sich mit einem Zusatz im Arbeitsvertrag verhalten, der Psychotherapeuten verbietet, ihre Klientinnen anzubaggern oder gar mit ihnen ins Bett zu steigen. Wer ein Therapeuten-Schwein ist, bleibt es auch mit dieser Klausel. Gerade die Kirche, die den Zusatz für Verträge mit therapeutisch tätigen Mitarbeitern plant, müßte wissen, wie sich das mit Sündern verhält.

Nur wer die Probleme und Tücken des therapeutischen Prozesses kennt, ist sensibilisiert für solche Kunstfehler wie den Machtmißbrauch. Nur wer nach abgeschlossenem Psychologie-Studium eine qualifizierte Zusatz-Ausbildung genossen hat, sollte deshalb therapieren dürfen. Doch immer noch können Leute, die sich in drei Wochen einen Wischi-Waschi-Schein in, sagen wir Körperarbeit, erworben haben, Hand an KlientInnen legen. Denn bislang fehlt ein Psychotherapeuten-Gesetz, das Behandlungs-Qualifikationen und Berufsbezeichnungen festgelegt.

Den selbsternannten „Therapeuten“ sollte die Kirche noch nicht einmal erlauben, im Beratungsbereich das Telefon anzufassen, noch weniger sollte sie ihnen KlientInnen zuweisen. Denn sind unqualifizierte Möchte-Gerns einmal in der therapeutischen Macht-Position, nutzen manche sie auch aus: Gelegenheit macht Schweine.

Steht nicht irgendwo geschrieben: „... und führe sie nicht in Versuchung“? Annette Bolz